Motto
Texte/Reden
Tomas Friedmann: Begrüßung, 30.4.2021
Erich Fried, der bekannte österreichische Schriftsteller und Übersetzer, würde in sechs Tagen seinen 100. Geburtstag feiern. 1987, eineinhalb Jahre vor seinem Tod, trat Erich Fried, der selbst 1938 emigrieren musste und dessen Familie von den Nationalsozialisten z.T. ausgerottet wurde, trat Erich Fried auf Einladung der Salzburger Autorengruppe (SAG) hier, neben dem Salzburg Museum, auf dem Residenzplatz auf. Viele von uns waren damals dabei. Es war die erste öffentliche Veranstaltung zur Salzburger Bücherverbrennung – 49 Jahre nach der inszenierten Aktion. Und was sagte Erich Fried, dessen Vater im Mai 1938 nach einem Gestapo-Verhör starb – und der von rechten Kreisen als „Stören-Fried“ beschimpft wurde, damals?
„Bloß die Bücherverbrennung zu verdammen und nicht zu kämpfen, das genügt nicht einmal, um neue Bücherverbrennungen zu verhindern und das genügt nicht, um die Verbrennung der ganzen Welt zu verhindern.“
Erich Fried hatte Rückgrat, eine zutiefst humanistische Einstellung zur Welt. Das prägte sein Denken, sein Handeln und sein Schreiben. „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt“, heißt es in seinem Gedicht „Status quo“ (zur Zeit des
Wettrüstens).
Genau 100 Jahre vor Erich Frieds Geburt, also heute vor 200 Jahren, im Jahr 1821, schrieb der deutsche Autor und politisch engagierte Journalist Heinrich Heine in seiner Tragödie „Almansor“ – gerichtet gegen die Vernichtung des Korans und anderer Werke der arabischen
Literatur in Spanien um 1500: Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.
Spoken Word gehört zum Menschen. Poesie auch. Die Slam-Poetinnen und Slam-Poeten von heute, die – teils auswändig, teils vom Blatt – eigene, meist lyrische Texte öffentlich vortragen, sind längst Teil der Pop-Kultur, manche von ihnen sind Stars und füllen Theatersäle. Diese aufgeklärten Autor*innen und Performer*innen unterhalten mit ihren Texten nicht nur, sie rütteln oft gehörig wach.
Wir haben fünf beeindruckende Bühnen-Künstler eingeladen, ihre „Haltung“ auf ihre jeweils unvergleichliche Art und Weise vorzutragen.
Hören wir zu: Meral Ziegler, Henrik Szanto, Tanasgol Sabbagh, Dalibor Markovic – und am Beginn Yasmin Hafedh, die als Rapperin und Musikerin unter dem Namen Yasmo auftritt.
Die Autorin lebt in Wien und stand bereits mit 15 Jahren auf der Bühne. 2009 war sie die erste Frau im Finale des Ö-Slams, der österreichischen Poetry-Slam-Meisterschaft. Damit begann eine steile Karriere. Heute ist sie eine der bekanntesten Poetinnen Österreichs – und tourt mit Sprache durch die halbe Welt. Mit - Sprache. Mitsprache. Darum geht es im vorletzten Teil unserer Veranstaltung „Haltung einst : jetzt“, den Yasmin Hafedh auch moderiert. Am Ende steht dann wie immer das Glockenspiel. Wir – und ich bedanke mich bei all unseren Kooperationspartnern –, wir wollen ein Zeichen setzen gegen das Vergessen, gegen Intoleranz, gegen die Verfolgung von Autor*innen und Journalist*innen, ein Zeichen für Zivilcourage, Meinungsfreiheit und Haltung heute.
Und jetzt freuen wir uns auf Yasmin Hafedh – und alle anderen. Herzlich willkommen!
Empfohlene Zitierweise:
Tomas FRIEDMANN, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Moderation), Salzburg 2021, online unter: Initiative Freies Wort https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2021/ (Datum des letzten Zugriffs).
Karl Müller – Rede 30. April 2021 - HALTUNG einst : jetzt
Sehr geehrte Damen und Herren,
als wir bei unseren kritischen Bemühungen um das Wachhalten der unerhörten Vorkommnisse des Jahres 1938 auf dem Residenzplatz zu Salzburg zuerst das Leitwort ZIVIL-COURAGE und nun jenes der HALTUNG wählten, waren wir uns auch des Prekären, des Heiklen und Vieldeutigen dieser wohlklingenden Worte bewusst. Sie aber sind Kraft, Zentrum und innere Triebfeder unserer Anliegen. Und doch, wir wissen um die Attraktivität dieser Worte für viele Formen missbräuchlicher Verwendung, ja geradezu zynischer Kaperung – einst und heute.
Denn diese Begriffe besitzen hohes moralisches Kapital, kommen leicht über die Lippen – in offenen, demokratisch verfassten Gesellschaften seien sie eigentlich, so könnte man meinen, eine ungefährliche Selbstverständlichkeit und von substantiellem Wert (Salz der Erde), in anderen
Gesellschaften allerdings, zunehmend heutzutage, geradezu lebensgefährliche Verhaltensweisen, ja oft nur bei Bedrohung von Leib und Leben zu leben.
HALTUNG als aufrechter Gang, würdige Wesensart, als Unkorrumpierbarkeit, als humaner Vernunft-Kompass sowie entsprechende gesellschaftliche Praxis, als Aufmerksamkeit für die Menschenrechte – gegen Gewalt, gegen politisch und medial geschickt eingesetzte Wahrnehmungsvernebelung, gegen grassierende revisionistische Geschichtsvergessenheit und zugleich als Achtsamkeit gegenüber allem Ungerechten. Wie gesagt – leicht und einfach zu beschwören, aber schwer zu machen, zu leben.
Ich sprach von der Kaperung der Worte und der mit ihnen verbundenen Vorstellungen und Werte – hat man denn je ein autokratisches, totalitäres Regime erlebt, das sich nicht angemaßt hätte, HALTUNG in seinem Sinne zur höheren Ehre seiner Macht zu definieren und die Menschen in seinem jeweiligen Sinne zu manipulieren und zuzurichten? Es wäre eben keine „Schande“ gewesen, sich „freiwillig“ der Bücher-Vernichtungsaktion anzuschließen – „anständig“ wäre dies gewesen, wie es hieß. Das Wort hatte seine Unschuld verloren und sollte schließlich das Verbrechen legitimieren, wie wir wissen. EINST und JETZT – HALTUNG ist ein zerbrechlichesund gefährdetes Gut – und ausbeutbar. Also Augen und Ohren auf. Mephistophelische Verführung ist nichts von gestern. Im Namen von Demokratie, Freiheit, Gleichheit, Modernität und Fortschritt gerieren sich viele heute als Haltungsapostel und Piraten für ihre politisch-ideologischen Zwecke. Tarnen und Täuschen ist inflationär ein einträgliches Polit-Geschäft geworden.
Vielleicht ist es hilfreich, sich an einige Sätze eines österreichischen Staatsbürgers namens Bert Brecht zu erinnern, dem HALTUNG ein „Lob des Zweifels“ war, und zwar in dieser Ausprägung:
Gelobt sei der Zweifel! Ich rate euch, begrüßt mir
Heiter und mit Achtung den
Der euer Wort wie einen schlechten Pfennig prüft!
Ich wollte, ihr wäret weise und gäbt
Euer Wort nicht allzu zuversichtlich. […]
Den Unbedenklichen, die niemals zweifeln
Begegnen die Bedenklichen, die niemals handeln.
[…]
Freilich, wenn ihr den Zweifel lobt
So lobt nicht
Das Zweifeln, das ein Verzweifeln ist!
Herzlicher Dank gilt Land und Stadt Salzburg, dem Salzburg Museum und seinem Direktor und dessen Team sowie allen Kooperationspartnern, die es möglich gemacht haben, dass diese Veranstaltung überhaupt stattfinden kann und hoffentlich einen festen, wenn auch Jahr für Jahr
routinelosen und gehaltvollen Platz in der Gedächtniskultur unseres Landes und unserer Stadt wird haben können.
Sie haben die beiden Musiker, die uns heute begleiten, schon spielen gehört: Georg Winkler (Klarinette) und Hubert Kellerer (Akkordeon).
Wir freuen uns nun auf die Rede von Doron Rabinovici zum Thema HALTUNG – von Doron, dem Schriftsteller und Historiker, dem mehrfach ausgezeichneten Intellektuellen, dem Jean-Améry-Preisträger (2002) und dem Ehrenpreisträger des österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln (2015).
Empfohlene Zitierweise:
Karl MÜLLER, HALTUNG einst : jetzt, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Rede), Salzburg 2021, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2021/ (Datum des letzten Zugriffs).
Doron Rabinovici: Zu „Haltung einst und jetzt“ - Achtung
Im Gedenken an die Salzburger Bücherverbrennung
Die Bücherverbrennung ging der Vernichtung voraus. Sie war der Auftakt zum Massenmord. So wie Heinrich Heine es vorausgesagt hatte. Als 1933 der Dichter Oskar Maria Graf erkennen musste, nicht auf der Liste der Verbannten zu stehen, forderte er das Regime öffentlich auf,
seine Schriften zu verbrennen. Er nahm damit in Kauf, seine Werke nie mehr in den Regalen der Buchhandlungen zu sehen, sondern vergessen zu sein im eigenen Land. Bertolt Brecht widmete Oskar Maria Graf sein Gedicht „Die Bücherverbrennung“.
Von Haltung ist die Rede, wenn sie keine Selbstverständlichkeit ist. Deshalb ist Haltung heuer wohl auch das Motto dieses Gedenkens. Denn Demokratie und Rechtsstaat scheinen nicht mehr so gesichert wie einst, sondern geraten ins Rutschen. In vielen Ländern gewinnen jene Bewegungen an Kraft, die mobil machen gegen die unabhängige Justiz und gegen kritische Medien. Der Populist zelebriert die Missachtung dessen, was allgemein zum Wertekatalog gerechnet wird. Mit seinen Auslassungen über Minderheiten, über Andersdenkende, über Frauen zeigt er an, zur Grenzüberschreitung bereit zu sein. Sein Programm ist offenkundig er selbst – und in diesem Sinne kennt er keine Halbheiten. Das ist seine Haltung. Er greift nach der ganzen Macht.
Die Frage ist indes, was angesichts dieser Kräfte jene tun, die versichern, für die parlamentarische Demokratie einzutreten. Sind die Fraktionen der Mitte bereit, den Feinden der offenen Gesellschaft zu widerstehen und ihnen entgegenzutreten?
Es ist erst wenige Monate her, da rief Donald Trump seine Fans auf, das Kapitol zu stürmen. Sie hatten angekündigt, schwarze und jüdische Abgeordnete zu lynchen. Die bewaffneten Aufständischen drohten mit der Ermordung von Nancy Pelosi, der Sprecherin des Repräsentantenhauses, und errichteten für den republikanischen Vizepräsidenten Mike Pence einen Galgen vor dem Gebäude. Fünf Menschen starben an jenem Tag.
Auch republikanische Abgeordnete rannten um ihr Leben, doch nun sind sie zu feige, um Trump endlich in ihrer Partei zu entmachten. Ihre Angst vor den Rechten im eigenen Lager ist so groß, dass sie sich ihnen ausliefern. Es heißt ja, es gäbe Menschen, die so eine dicke Haut
haben, dass sie ohne Rückgrat geradezustehen vermögen.
„Haltung“, so hieß das Buch, das Reinhold Mitterlehner, der vorherige Obmann der österreichischen Volkspartei, vor zwei Jahren verfasste. Er beschrieb darin, wie er beiseite gedrängt wurde von einer Politik, die nur der Meinungsumfragen wegen alle christlichen Grundwerte verwirft und sich dem Pakt mit den Freiheitlichen ausliefert.
Der Kanzler bedient Ressentiments gegen die Europäische Union. Ein Politiker rühmt sich, die Grenzen für all jene gesperrt zu haben, die vor Mordregimen fliehen müssen. Jene, die auf hoher See das Leben der Versinkenden zu retten versuchen, indem sie ihr eigenes aufs Spiel
setzen, werden als Gesetzesbrecher verurteilt. Die unabhängige Justiz wird, wenn sie gegen eigene Minister ermittelt, diskreditiert. Freie Medien, die dieses Doppelspiel kritisieren, werden diffamiert.
Wie verlogen war es doch, eine Koalition mit Rechtsrechten einzugehen, um hernach erstaunt zu tun, wenn in ihren Burschenschaften der Mord an Millionen Juden besungen wird, wenn sie das Bundesamt für Verfassungsschutz stürmen lassen, wenn sie auf Ibiza die Republik zum Verkauf anbieten. Wen wundert’s, dass die Freiheitlichen nun mitten in einer Pandemie gemeinsam mit gewaltbereiten Neonazis demonstrieren? Wieso sollten jene, die kein Problem mit Auschwitzleugnern haben, nicht auch frech lügen, um die Gefahr der Seuche kleinzureden? Selbstverständlich war bereits 2017 bekannt, welcher Ungeist die Freiheitlichen umtreibt. Aber dieser heimische Hang zum Selbstbetrug hat Tradition. Den Freiheitlichen wird gerne vorgeworfen, keine klare Haltung gegenüber der nazistischen Vergangenheit zu haben, doch die Wahrheit ist, ihre Einstellungen waren seit jeher ziemlich eindeutig. Die demokratischen Fraktionen waren es, die jahrzehntelang an der Lüge von einem nationalen Unschuldskollektiv festhielten.
Haltung ist der Prüfstein für die eigene Gesinnung. Im Ernstfall zeigt sich, ob eine Person wirklich meint, was sie sagt. Es gibt jedoch auch ein Zuviel an Haltung. Wer täglich Alarm schreit, dem wird zurecht nicht mehr zugehört. Wenn immerzu der Ausnahmezustand herrscht, wird die Freiheit nicht verteidigt, sondern eingeschränkt. Während der Hohn der Hetzer zunimmt, grassiert zugleich unter jenen, die dem Hass entgegentreten wollen, eine Unerbittlichkeit gegenüber jedem kleinen Widerspruch zum vermeintlich wahrhaft Guten. Bekämpft werden so nicht die Scharfmacher, sondern alle eigenständig Denkenden.
In so einem Klima allgemeiner Erregung ist es leicht, mit abseitigen Zoten, mit einschlägigen Klischees oder mit kruden Verschwörungsmythen seinen Scherz zu treiben und die falschen Lacher hervorzukitzeln, um hernach zu behaupten, das sei doch bloß Satire.
Haltung bedeutet oft auch Zurückhaltung. Nicht jede Diskussion muss zum Zerwürfnis werden, sonst wird nicht eine Meinung abgelehnt, sondern sogleich die Existenzberechtigung desjenigen, der sie vertritt.
Als in den Sechzigern des letzten Jahrhunderts der Dichter Peter Huchel von der Staatssicherheit der DDR überwacht und isoliert wurde, widmete Wolf Biermann ihm das Lied „Die Ermutigung“:
Du, lass dich nicht verhärten
In dieser harten Zeit.
Die allzu hart sind, brechen
Die allzu spitz sind, stechen
Und brechen ab sogleich.
Selbst in den Tagen der Unterdrückung fand Biermann zu einem Ton der Hoffnung. Ich weiß nicht, ob ich unter solchen Bedingungen zu so viel Zuversicht fähig gewesen wäre, doch heute sollte es viel leichter fallen, ohne Verbitterung und Starrsinn, sondern mit Esprit und Humor
für die offene Gesellschaft, für die Demokratie und für die Menschenrechte zu streiten. Es braucht in unserer Gegenwart gar nicht viel Mut, um für Asylsuchende die Stimme zu erheben.
Aber es gibt Auseinandersetzungen, die eine klare Haltung verlangen. Das lehrt auch die Salzburger Bücherverbrennung von 1938, der wir heute gedenken. Sie zielte – anders als jene 1933 in Deutschland – nicht nur gegen jüdische und linke Intellektuelle, sondern ebenso gegen
Persönlichkeiten des Austrofaschismus. Nichts hatte es dem Ständestaat geholfen, noch 1936 ein Juliabkommen mit dem Dritten Reich zu schließen, daraufhin alle Propaganda gegen den Nationalsozialismus zu unterdrücken, die inhaftierten Nazis zu amnestieren und Edmund
Glaise-Horstenau zum Minister zu ernennen. Nichts hatte es damals den Christlich-Sozialen gebracht, die Demokratie zu zerstören. Viele Politiker der österreichischen Diktatur wurden in Konzentrationslager gesperrt.
1958 sagte Erich Kästner in Erinnerung an die Bücherverbrennung 1933: „Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muss den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr an! Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat. (…) Drohende Diktaturen lassen sich nur bekämpfen, ehe sie die Macht übernommen haben. Es ist eine Angelegenheit des Terminkalenders. Nicht des Heroismus.“
Noch stürzt keine Lawine auf uns herab, aber nicht nur in Ungarn, nicht nur in Polen gerät die Grundlage von Demokratie und Rechtsstaat ins Rutschen. Wer gerne mit Nazis marschiert, hat in der Regierung nichts zu suchen. Wer mit Rechtsextremen koaliert, wagt den Aufstieg auf
schiefem Terrain. Wenn wir nicht allesamt hinabgerissen werden wollen, gilt es dagegen aufzutreten und Haltung zu zeigen.
Empfohlene Zitierweise:
Doron RABINOVICI, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Rede), Salzburg 2021, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2021/ (Datum des letzten Zugriffs).