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Samstag, 30. April 2022, 11 Uhr – Salzburg Museum, Mozartplatz 1

Wahrheit

„Dort, wo man Bücher verbrennt...“

Zum 30. April 1938: Salzburger Bücherverbrennung auf dem Residenzplatz

Almansor:
Wir hörten daß der furchtbare Ximenes,
Inmitten auf dem Markte, zu Granada –
Mir starrt die Zung im Munde – den Koran
In eines Scheiterhaufens Flamme warf!
Hassan:
Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher
Verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.
(Heinrich Heine: Almansor. Eine Tragödie. Berlin 1823 – Erstveröffentlichung 1821)

Salzburg, die „schöne Stadt“ („alte Plätze sonnig schweigen …“ Georg Trakl), war auch ein bedrängender Ort. Am 30. April 1938 inszenierte der Lehrer und Schriftsteller Karl Springenschmid auf dem Salzburger Residenzplatz eine Bücherverbrennung – die einzige in Österreich nach nationalsozialistischem Muster. Schon das Fanal am 10. Mai 1933 in Deutschland zielte auf Auslöschung der österreichischen Literatur von Weltruf, darunter Sigmund Freud, Franz Werfel und Stefan Zweig. Was von ihr in der österreichischen Diktatur von 1933 bis 1938 übrig blieb, wurde im nationalsozialistischen Salzburg, inmitten der Altstadt, angesichts der erzbischöflichen Residenz, des Domes und des Mozartdenkmals, verbrannt – Vorbote von dem, was noch kommen sollte …

1987 erinnerte erstmals eine Initiative der Salzburger Autorengruppe an dieses ungeheuerliche Vorkommnis. Erich Fried hatte damals bei strömendem Regen in seiner aufrüttelnden Rede gesagt: „Und bloß die Bücherverbrennung zu verdammen und nicht zu kämpfen, das genügt nicht einmal, um neue Bücherverbrennungen zu verhindern, und das genügt nicht, um die Verbrennung der ganzen Welt zu verhindern. Das wollte ich sagen.“

Zwanzig lange Jahre danach gab es nun am 30. April 2007 erneut eine Gedenkveranstaltung, die an diesen Vandalenakt der Nazis erinnerte. Nun haben sich Vertreter des Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg (Gerhard Langer, Karl Müller, Armin Eidherr), der Israelitischen Kultusgemeinde (Hofrat Marko Feingold), des Vereins Literaturhaus Salzburg (Tomas Friedmann), des Friedensbüros Salzburg (Christine Czuma), der Katholischen Aktion (Generalsekretär Hannes Schneilinger), der Plattform www.erinnern.at (Sigrid Langer) und der Internationalen Stefan Zweig Gesellschaft (Hildemar Holl) mit dem Ziel getroffen, die Erinnerung an den 30. April 1938 wach zu halten. Dank der großzügigen Unterstützung der Salzburger Sparkasse und der Stadt Salzburg konnte eine mehrteilige Veranstaltung vorbereitet werden.

Dabei war die Nazi-Bücherverbrennung des Jahres 1938 in den drei Programmteilen dieses Tages wiederholt Anlass, auf Grundsätzliches und Wesentliches hinzuweisen – die Vernichtung des Buches als ein Zeichen der Auslöschung von Geist, Freiheit und Emanzipation und als ein aktuelles und virulentes Problem der Gegenwart. Denn wie ein roter Flammenschein zieht sich das lodernde Rot durch die Geschichte und die Kulturen oder, wie sich Erich Kästner schon anlässlich des 25. Jahrestages der Bücherverbrennung des Jahres 1933 bei der PEN-Tagung in Hamburg am 10. Mai 1958 ausdrückte: „Das blutige Rot der Scheiterhaufen ist immergrün.“ Diesem Gedanken waren denn auch die Beiträge von Wissenschaftlern und SchriftstellerInnen an diesem 30. April 2007 gewidmet.

Am Vormittag stellten Gert Kerschbaumer und Karl Müller in einem zweistündigen Vortrag an der Universität die Salzburger Bücherverbrennung in die historischen Kontexte und analysierten Vorgeschichten, Ausprägungen und die bedrängenden Folgen dieser „Aktion wider den undeutschen Geist“, wie sich die Nazis ausdrückten.

Diese begann „schlagartig“ in den Umbruchstagen und erstreckte sich auf alle mit der Herstellung und Verbreitung von Literatur befassten Instanzen der vor 1934, also während der Ersten Republik, relativ autonomen Kulturgesellschaft. Die „Aktion wider den undeutschen Geist“, die „Säuberungs- und Entrümpelungsaktion“ auf der Grundlage der „zum Schutz von Volk und Staat“ verordneten „schwarzen Listen“ mit „verbrennungswürdigen“ Büchern, gipfelte in der Bücherverbrennung, die effektvoll inszeniert wurde. Vorbild für Salzburg waren die Bücherverbrennungen im Deutschen Reich vom Mai 1933, die damals in vielen deutschen Universitätsstädten durchgeführt worden waren. Salzburg hat den zweifelhaften Ruhm, der einzige Ort der damaligen „Ostmark“ zu sein, wo eine derartige Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten stattfand. In Salzburg musste im Jahre 1938 das Konzept der Verbrennung von Büchern an die spezifischen politisch-historischen Umstände angepasst und verändert werden. Denn die deutsche Hauptstoßrichtung des Jahres 1933 – die prinzipiell antisemitische Auslöschung der Moderne, in der Mehrzahl „pazifistische, defaitistische und bolschewistische“ AutorInnen, wie sich die Nazis ausdrückten –, wäre 1938 nach vier Jahren Austrofaschismus zum Teil ins Leere gegangen, hatten doch die Kulturfunktionäre des österreichischen Ständestaates schon zwischen 1934 und 1938 die pazifistische, marxistische und zum Teil kritisch-bürgerliche Literatur von sich aus bekämpft. In der Beseitigung der „kulturbolschewistischen Pseudokunstproduktion“ waren sich Austrofaschismus und deutscher Faschismus einig. Der NS-„Kampf gegen Schmutz und Schund“ hatte 1933 sogar überschwängliche Begeisterung in österreichischen vaterländisch-katholischen Kreisen erweckt. Die Moderne verlor unter dem Austrofaschismus die wenigen Einflussbereiche. Die „völkische Literatur“ eroberte die freien Positionen, doch erst mit dem „Anschluss“ wird die völkischnationale und nationalsozialistische Literatur zur dominierenden Macht in allen Literaturinstanzen. Das öffentliche Signal zur „Ausmerzung“ gaben der Landesschulrat für Salzburg und die Gauwaltung des NS-Lehrerbundes sechs Wochen nach dem Staatsstreich 1938. Schüler- und Lehrerbüchereien seien einer genauen „Revision“ zu unterziehen. Die beim Salzburger Autodafé inszenierte anti-klerikale und anti-austrofaschistische Stoßrichtung verstellt aber den Blick auf den gesamten Umfang und die Hauptstoßrichtung der Kulturbarbarei gegen die Moderne. Alle Bücher jüdischer Autoren sowie Bücher, die aus der Dollfuß-Schuschnigg-Zeit stammten und rein klerikalen Zwecken (politischer Katholizismus) dienten, seien im Hof des Mirabellschlosses (Magistrat und Deutsches Volksbildungswerk) abzugeben.

Die NS- Regie inszenierte die Bücherverbrennung als Bruch, als symbolische Vernichtung der „alten Zeit“, für die Unterdrückung, Zerrissenheit, Not und Elend stehen, und als symbolischen Aufbruch in eine „neue Zeit“, für die Wiedervereinigung, Einigkeit, Gleichheit, Freiheit und Modernität stehen. Durch die Akzentuierung der Stoßrichtung gegen die „Systemzeit“, gegen ein reaktionäres System, und durch die Demonstration des „stürmischen Elans der Jugend“ gab sich der Nationalsozialismus modern, jugendbewegt und aufmüpfig gegen die Herrschenden, die allerdings bereits abgetreten waren. Der Nationalsozialismus verstellte damit den Blick auf seinen wahren Charakter. Er vollzog nämlich einen Bruch in Bereichen, in denen es Emanzipation, Freiheit, Fortschritt und Utopie gab, in den Bereichen Literatur, Wissenschaft und Presse.

Am Nachmittag fand auf dem Residenzplatz eine etwa einstündige Veranstaltung statt, die reges Publikumsinteresse erfuhr und von Kompositionen von Igor Strawinsky und Erwin Schulhoff begleitet wurde, gespielt vom Bläser-Ensemble Triophonie und Mitgliedern der Klezmer-Connection.

Gert Kerschbaumer eröffnete mit einigen prinzipiellen Gedanken, die auch auf aktuelle kulturpolitische Fragen anspielten:
„Wie nachhaltig der Zivilisationsbruch in Salzburg wirkt, zeigt sich darin, dass es hier bislang misslungen ist, ein Haus für Stefan Zweig zu errichten. Lebendig wie eh und je ist jedoch sein literarischer Traum von der Einheit der Welt, des Orients und Okzidents – sein Kosmos, aus dem ich abschließend die Frage zitiere: ‚ … wie kann man atmen ohne die Weltluft, die aus den Büchern strömt?’“

Robert Schindel hatte sich bereit erklärt, eine Rede zu halten, in der er unter anderem die Brücke zwischen der Bücherverbrennung von 1938 und modernen Angriffen auf Künstler und Aufführungen schlug:
„Hier stehen wir und gedenken der Bücherverbrennung 38, indes ununterbrochen in vielen Teilen der Welt Menschen verbrannt werden. Achten wir womöglich darauf, dass jene Symbolakte uns nicht und nie den Blick verstellen für die aktuellen Barbareien, die unter unseren Augen geschehen. Dass aber Salzburg heute zum zweiten Mal sich an diese Schande vom 30. April erinnert, sei ihm hoch angerechtet. Womöglich lässt die Stadt und auch gewisse kirchliche Kreise die Künstler hier arbeiten und man setzt den Index ein für alle Mal auf den Index. Denn der Meinungsstreit ist das eine, Verbote etwas ganz anderes. Nebenbei: Es liegt im Wesen jeglicher Orthodoxie, gleichgültig welcher Religionen, Ideologien, eine Welt der eigenen Dogmen zu errichten, in denen nur diese Platz haben. Deshalb mögen die Religionen bei sich selbst anfangen, in die Toleranzen zu gehen und die weltlichen Ideologien mögen folgen. Dann werden sie keine Bücherverbrennungen mehr veranstalten in Zukunft und auch nicht unter solchen zu leiden haben.“

Anschließend lasen Salzburger SchriftstellerInnen Texte zum Thema von Stefan Zweig, Kurt Tucholsky, Lion Feuchtwanger, Soma Morgenstern, Carl Zuckmayer, Berthold Viertel, Ilse Aichinger und Ernst Kästner.

Christine Haidegger (unten rechts) las aus einem Brief von Stefan Zweig an den belgischen Maler Frans Masereel vom 15. April 1933. Der Brief wurde also einige Wochen vor dem 10. Mai 1933 geschrieben, als im Deutschen Reich in über 40 Städten Bücher verbrannt wurden. Es heißt dort u.a. “Was sonst geschieht, spottet jeder Beschreibung, jede Art von Recht, Freizügigkeit ist in Deutschland aufgehoben, und es wird nur ganz kurze Zeit dauern, und wir haben in Österreich das gleiche Schicksal.“

Ludwig Laher (unten links) trug aus einem Brief von Kurt Tucholsky an seinen Freund Walter Hasenclever vom 17. Mai 1933 vor: „… Da kommen sie nun aus allen Löchern gekrochen, die kleinen Provinznutten der Literatur, nun endlich, endlich ist die jüdische Konkurrenz weg - jetzt aber! […] Lebensgeschichten der neuen Heroen. Und dann: Alpenrausch und Edelweiß. Mattengrün und Ackerfurche. Schollenkranz und Maienblut — also Sie machen sich keinen Begriff, Niveau null.“

Vladimir Vertlib (unten links) las Teile aus der bedrängenden Hinrichtungspassage aus Lion Feuchtwangers historischem Roman „Jüd Süß“ (1925), der sich mit dem Schicksal von Josef Süß Oppenheimer, dem Bankier und Finanzberater von Herzog Karl Alexander von Württemberg, auseinandersetzt. Josef Süß Oppenheimer war am 4. Februar 1738 hingerichtet worden.

Armin Eidherr (oben rechts) trug eine Passage aus Soma Morgensterns Erinnerungen „Joseph Roths Flucht und Ende“ vor, erschienen 1994, geschrieben in Erinnerung an die Jahre 1933 und 1934. Soma Morgensterns Romantrilogie „Funken im Abgrund“ – „Der Sohn des verlorenen Sohnes“, „Idyll im Exil“ und „Das Vermächtnis des verlorenen Sohnes“ – konnte zur Gänze erst in den 1990er Jahren in ihrer deutschen Originalsprache publiziert werden, war also dem deutschsprachigen Publikum nicht zugänglich. Schon zwischen 1946 und 1950 war die Trilogie in einer amerikanischen Übersetzung publiziert worden. Soma Morgenstern, 1890 in Ostgalizien geboren, war eng mit Joseph Roth befreundet: „Du [sagte Joseph Roth zu seinem Freund Soma Morgenstern] mußt trachten, mit dem Buch schnell zu Ende zu kommen. Wir haben unsere Welt verloren. Ich bin in etwas besserer Lage als du, denn meine Bücher haben schon meinen Namen im Ausland bekannt gemacht. Das wird mir nicht viel helfen. Aber wie man in Wien sagt: besser wie gornix. Du, Soma, kommst schon fast zu spät. Wie soll sich einer, der jetzt deutsch schreibt, im Ausland als Flüchtling einen Namen machen?"

Christoph Janacs (unten links) las Passagen aus Carl Zuckmayers Autobiographie „Als wär’s ein Stück von mir. Horen der Freundschaft“ (1966). Zuckmayer lebte seit 1934 in Henndorf bei Salzburg und flüchtete nach der Annexion Österreichs im Jahre 1938 aus Österreich. Die folgende Passage bezieht sich auf diese entscheidenden Stunden und stammt aus dem Kapitel „Austreibung“: „Ich reiste allein, mit dem direkten Zug Wien-Zürich. […] Der Salzburger Bahnhof glich einem Heerlager, überall kampierten die Einmarschtruppen, die einen ruhigen, disziplinierten, soldatischen Eindruck machten. […] Der gleiche Mob, den ich von Wien her kannte, belagerte die Bahnhofshalle, sagte „Sssieg-Heil“ oder sang das Horst-Wessel-Lied, die Parteihymne, in der es wie zum Hohne hieß: „Die Zeit für Freiheit und für Brot bricht an!“ und an die, erst recht wie zum Hohn, das gute alte Deutschlandlied des einstigen 48ers Hoffmann von Fallersleben, nach der Melodie von Haydn, angehängt wurde. […] Der Gedanke, dieses Land zu verlassen, wurde mir immer leichter.“

O. P. Zier (oben rechts) trug das Gedicht „Der nicht mehr Deutsch spricht“ von Berthold Viertel aus dem Gedichtband „Der Lebenslauf“ vor, der im Jahre 1946 im New Yorker Exilverlag „Aurora“ erschienen ist. Dort heißt es u. a.: „Deutsch zu sprechen hast du dir verboten/Wie du sagst: aus Zorn und tiefer Scham./ Doch wie sprichst du nun zu deinen Toten,/Deren keiner mit herüberkam?“

Gudrun Seidenauer (unten links) las Passagen aus Ilse Aichingers „Aufruf zum Misstrauen“, erstmals publiziert in der Zeitschrift „Plan“ im Juli 1946: „Ein Druckfehler? Lassen Ihre Augen schon nach? Nein! Sie haben ganz richtig gelesen — obwohl Sie diese Überschrift unverantwortlich finden, obwohl – – Sie finden keine Worte. […] Aufruf zur Vergiftung also? Aufruf zum Untergang? Beruhigen Sie sich, armer, bleicher Bürger des XX. Jahrhunderts! Weinen Sie nicht! Sie sollen ja nur geimpft werden. Sie sollen ein Serum bekommen, damit Sie das nächste Mal um so widerstandsfähiger sind! […] Trauen wir dem Gott in allen, die uns begegnen, und mißtrauen wir der Schlange in unserem Herzen! Werden wir mißtrauisch gegen uns selbst, um vertrauenswürdiger zu sein!“

Schließlich zitierten Ludwig Laher und Christine Haidegger (oben rechts) aus einer Rede Erich Kästners, die er anlässlich der 25. Wiederkehr des Jahrestages der Bücherverbrennung von 1933 bei der PEN-Tagung in Hamburg am 10. Mai 1958 gehalten hat: „Es gibt Andachtsübungen, und wie es Andachtsübungen gibt, sollte es, nicht weniger ernsthaft und folgenschwer, Gedächtnis-Übungen geben. Meine Damen und Herren, wir sind zu einer Gedächtnis-Übung zusammengekommen. […] eine Gedenkstunde soll eine Gedächtnisübung sein, und noch etwas mehr. […] Man darf nicht warten, bis der Freiheitskampf Landesverrat genannt wird. Man darf nicht warten, bis aus dem Schneeball eine Lawine geworden ist. Man muß den rollenden Schneeball zertreten. Die Lawine hält keiner mehr auf. Sie ruht erst, wenn sie alles unter sich begraben hat.“

Schülerinnen des Bundesgymnasiums Zaunergasse hatten sich in den vergangenen Wochen mit dem Thema Bücherverbrennung befasst und Informationsblätter zu einzelnen Autoren mit Biographie und Textproben gestaltet; sie verteilten die Blätter dem interessierten Publikum auf dem Residenzplatz.

Der Tag in Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung des Jahres 1938 wurde mit einem Diskussions- und Filmabend im Salzburger Literaturhaus beendet.

Gerhard Langer (links) sprach mit Robert Schindel (rechts) und dem Generalsekretär der Israelitischen Kultusgemeinden in Österreich, Mag. Raimund Fastenbauer (Mitte), über die Bedeutung von Bücherverbrennungen für die jüdische Tradition, über neuen und alten Antisemitismus, über „Vergangenheitsbewältigung“ als „Gegenwartsbewältigung“. Im Anschluss wurde der 2001 gedrehte Film „Gebürtig“ nach dem gleichnamigen Roman von Robert Schindel gezeigt.

Gert Kerschbaumer, Gerhard Langer, Karl Müller

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Presse

WAHRHEIT

INITIATIVE FREIES WORT
PRESSEKONFERENZ zur Erinnerung an die Bücherverbrennung 1938
(auch an alle Kooperationspartner 2022)

Veranstaltung zur Erinnerung an die Bücherverbrennung 1938

Samstag, 30. April 2022, 11 Uhr, Salzburg-Museum (Kuenburg-Saal)
und am Mahnmal auf dem Residenzplatz

PODIUM

mit Günther Kaindlstorfer sprechen Barbara Blaha, Ilija Trojanow und Mirjam Zadoff

Günther Kaindlstorfer, geb. 1963 (Bad Ischl); ständiger Mitarbeiter des TV-Magazins „Kulturzeit“ (3sat), Initiator der ORF-Bestenliste, Moderator der Diskussionssendung „Kreuz und Quer“(ORF), Moderator und Sendungsgestalter für Ö1 (Von Tag zu Tag, Morgenjournal, Mittagsjournal, Leporello, Radiokolleg, Kontext, Ex Libris, Diagonal, Ambiente, Hörbilder, etc.); Kulturkorrespondent für deutsche und Schweizer Rundfunkstationen; freier Mitarbeiter mehrerer Printmedien (z. B. Der Standard, Die Presse, Falter, Weltwoche, Zürcher Tagesanzeiger, Berliner Zeitung, Frankfurter Rundschau, Stuttgarter Zeitung); offizieller Stadionsprecher der österreichischen Autoren-Fußballnationalmannschaft.

Barbara Blaha, geb. 1983, Gründerin des Politkongresses Momentum (2008) und des Thinktanks Momentum Institut (2019): Untersuchungen zur jeweiligen sozioökonomischen Lage; Interesse für verteilungspolitische Probleme; Arbeit an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Politik; ehemalige Vorsitzende der Österreichischen Hochschülerinnen- und Hochschülerschaft; Studium der Germanistik in Wien; kaufmännische Leiterin beim Czernin-Verlag und Sachbuch-Programmleitung im Brandstätter-Verlag; seit 2013 im Universitätsrat der Universität Salzburg; Buchautorin (auch gem. mit Sylvia Kuba, Josef Weidenholzer) zu gesellschaftspolitischen Fragen, u.a. über Politik und Öffentlichkeit, Solidarität, Freiheit und Gerechtigkeit.

Ilija Trojanow, geb. 1965 Sofia; Schriftsteller, Übersetzer und Verleger; 1971 Flucht über Jugoslawien und Italien nach Deutschland (politisches Asyl); 1972 nach Kenia, Studien in Deutschland, Nairobi, Paris; seit 1999 in Mumbai, seit 2003 in Kapstadt, heute in Wien; seit1993 ca. 40 Bücher verschiedener Genres (Romane, Sachbücher, Reiseberichte, Reportagen, Essays, Gedichte, Poetologisches, zeithistorische Dokumentationen, InternetNovel, z. B. „Der Weltensammler“ 2006, „EisTau“ 2011, gem. mit Julie Zeh „Angriff auf die Freiheit“ 2009, „Wissen und Gewissen“ 2014, „Macht und Widerstand“ 2015, „Meine Olympiade“ 2016, „Gedankenspiele über die Neugier“ 2020); Umfangreiche Herausgebertätigkeit und Übersetzungen, etwa 40 Texte (z. B. Texte von Ryszard Kapuścínski 2007, E.E. Kisch 2008, J. Steinbeck 2011, Gandhi 2019, A. Bouanani 2020); seit 1995 zahlreiche Auszeichnungen, Preise und Poetikdozenturen (z. B. Preis der Leipziger Buchmesse 2006, Heinrich-Böll-Preis 2017, Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz im Denken und Handeln 2018); Unterstützer der Charta der Digitalen Grundrechte 2016, seit 2017 im Präsidium des PEN-Zentrums Deutschland.

Mirjam Zadoff, geb. 1974 Innsbruck, Historikerin und seit 2018 Direktorin des NS-Dokumentationszentrum München; Studium der Geschichte und Judaistik in Wien; 2001/02 Mitglied der Historikerkommission der Republik Österreich zum Thema  "Vermögensentzug“, Rückgaben und Entschädigungen; Promotion in München mit der Schrift „Nächstes Jahr in Marienbad. Gegenwelten jüdischer Kulturen der Moderne“ (2006); mehrere Wissenschaftspreise (z. B. der Bayerischen Akademie der Wissenschaften; Salo W. Baron Prize der American Academy for Jewish Researc), Habilitationsschrift „Der rote Hiob. Werner Scholem“ (2014); zwischen 2014 und 2019 Inhaberin des Alvin H. Rosenfeld Lehrstuhls für Jüdische Studien an der Indiana University Bloomington; Gastprofessuren und Fellowships brachten sie nach Berkeley, Zürich, Berlin, Augsburg, London und Jerusalem; ao. Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften.

REDE

Brita Steinwendtner beim Mahnmal am Residenzplatz um ca. 12.30 Uhr

Brita Steinwendtner, geb. 1942 Wels; Schriftstellerin, Regisseurin; Studium der Geschichte und Germanistik in Wien und Salzburg; promovierte Historikerin; 1972–2000 freie Mitarbeiter im ORF und bei europäischen Rundfunkanstalten; langjährige Leiterin der Rauriser Literaturtage (1990–2012); Herausgeberin und Autorin von Romanen (z.B. Im Bernstein 2005, Du Engel – Du Teufel. Emmy Haesele und Alfred Kubin 2009; Gesicht im blinden Spiegel 2020), literatur- und kulturwissenschaftlichen Essays und literarischen Porträts (Serie von „Dichterlandschaften“), Gedichten, Erzählungen (z.B. Rote Lackn 1999), zahlreiche Literatur-Hörfeatures und TV-Porträts (z. B. zu Peter Handke, H.C. Artmann, Ilse Aichinger,Künstlerische Doppelbegabungen); zahlreiche Preise und Auszeichnungen (z. B. Preis des Kulturfonds der Stadt Salzburg für das Lebenswerk 2005, Buchpreis der Salzburger Wirtschaft für herausragende literarische Leistungen im Schreiben und in der Literaturvermittlung 2007, Ehrenring in Gold der Paris-Lodron-Universität Salzburg 2010, Österreichisches Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 2012);

Musikalische Begleitung

Irmgard Messin, geb. in Mondsee; Flötenstudium am Mozarteum bei Irena Grafenauer; Meisterkurse u.a. bei Wolfgang Schulz, Michel Debost, Jeanne Baxtresser, Carine Levine, Istvan Matuz und Susan Milan); Mitglied im Gustav Mahler Orchester, der Österreichischen Jugendphilharmonie, des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, der Camerata Academica Salzburg und dem Mozarteum Orchester Salzburg; Lehrtätigkeit in Bangkok und am Mozarteum; seit 1993 Mitglied des œnm. œsterreichisches ensemble fuer neue musik; Auftritte bei Wien Modern, den Bregenzer Festspielen, dem Warschauer Herbst, den Salzburger Festspielen, der Biennale München; 2011 erste Solo-CD „flute“ mit Werken zeitgenössischer Musik.

Programmierung des Salzburger Glockenspiels mit dem Lied DONNA DONNA

… ursprünglich jiddisches Lied (Text: Aaron Zeitlin, Musik: Sholom Secunda; hebr. Donaj/Adonai), 1940 für das Musical „Esterke“ geschrieben; Reflexion über die Situation der Jüdinnen/Juden im Dritten Reich; Übersetzungen in viele Sprachen. 3. Strophe: Arme Kälbchen kann man fesseln und zum Schlächter schleppen hin, / frei zu sein bedarf es Flügel, und du fliegst zum Himmel hin. // Lacht der Wind im Kornfeld, lacht und lacht und lacht, / lacht den ganzen Tag darüber und noch die halbe Nacht. / Donaj, Donaj, Donaj....... daj!“

Die Kooperationspartner
Salzburger Autorengruppe (SAG), Stefan Zweig Zentrum Salzburg, Stolpersteine Salzburg, Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen, KZ-Verband/VdA Salzburg, Israelitische Kultusgemeinde Salzburg, Literaturhaus Salzburg, Erinnern.at, Friedensbüro Salzburg, Katholische Aktion Salzburg, Plattform für Menschenrechte, Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte, Caritas Salzburg, Afro-Asiatisches Institut Salzburg (AAI), Diakonie Flüchtlingsdienst, SalzburgMuseum, Akzente

Karl Müller (gemeinsam mit Gert Kerschbaumer): Salzburger Bücherverbrennung 1938– 2022: Aspekte der Salzburger Bücherverbrennung vom 30. April 1938

Die „Aktion wider den undeutschen Geist“, die „Säuberungs- und Entrümpelungsaktion“ auf der Grundlage der „zum Schutz von Volk und Staat“ verordneten „schwarzen Listen“ mit „verbrennungswürdigen“ Büchern, gipfelte in der Bücherverbrennung, die in größter Eile
vorbereitet und effektvoll inszeniert wurde. Der Lehrer und Schriftsteller Karl Springenschmid war der spiritus rector dieses Vandalenaktes, der als Richtspruch und Feuergericht inszeniert wurde. Vorbild für Salzburg waren die Bücherverbrennungen im
Deutschen Reich vom Mai 1933, die damals in vielen deutschen Universitätsstädten durchgeführt worden waren. In Salzburg musste im Jahre 1938 das Konzept der Verbrennung von Büchern an die spezifischen politisch-historischen Umstände angepasst und verändert werden. Denn die deutsche Hauptstoßrichtung des Jahres 1933 – die prinzipiell antisemitische Ausrottung der Moderne, in der Mehrzahl „pazifistische, defaitistische und bolschewistische“ AutorInnen, wie sich die Nazis ausdrückten –, wäre 1938 nach vier Jahren Austrofaschismus zum Teil ins Leere gegangen, hatten doch die Kulturfunktionäre des österreichischen Ständestaates schon zwischen 1934 und 1938 die pazifistische, marxistische und zum Teil kritisch-bürgerliche Literatur von sich aus bekämpft. In der Beseitigung der „kulturbolschewistischen Pseudokunstproduktion“ waren sich Austrofaschismus und deutscher Faschismus einig. Der NS-Kampf gegen Schmutz und Schund“ hatte 1933 sogar überschwängliche Begeisterung in österreichischen vaterländisch-katholischen Kreisen erweckt. Die Moderne verlor unter dem Austrofaschismus die wenigen Einflussbereiche, die „völkische Literatur“ eroberte die freien Positionen, doch erst mit dem „Anschluss“ wird die völkischnationale und nationalsozialistische Literatur zur dominierenden Macht in allen Literaturinstanzen. Das öffentliche Signal zur „Ausmerzung“ gaben der Landesschulrat für Salzburg und die Gauwaltung des NS-Lehrerbundes sechs Wochen nach dem Staatsstreich 1938. Schüler- und Lehrerbüchereien seien einer genauen „Revision“ zu unterziehen. Die beim Salzburger Autodafé inszenierte anti-klerikale und anti-austrofaschistische Stoßrichtung verstellt jedenfalls den Blick auf den gesamten Umfang und die Hauptstoßrichtung der Kulturbarbarei gegen die Moderne. Alle Bücher jüdischer Autoren sowie Bücher, die aus der Dollfuß-Schuschnigg-Zeit stammten und rein klerikalen Zwecken (politischer Katholizismus) dienten, seien im Hof des Mirabellschlosses (Magistrat und Deutsches Volksbildungswerk) abzugeben: „Fort mit dem volksfremden ‚Geistesgut’!“, so tönte es aus dem Mund der Provinz-Bourgeoisie Salzburgs, fort mit den „Produkten“ der „Juden“, dieses „Geschmeißes“, und fort mit der „Schundliteratur“ der Klerikalen – so lautete das sich modern gebende Verbrennungsmotto für die „restlose Vernichtung“.

Die NS-Regie machte jeden Beteiligten zum Mittäter. Einige Werke, welche die „Vernichtung besonders verdienten“, wurden stellvertretend für alle anderen „dem reinigenden Feuer überantwortet“, begleitet von „kernigen Urteilssprüchen“. Jeder Spruch beinhaltete schlagwortartig ein behauptetes Verbrechen, das es auszumerzen gelte, und „Ideale“, die zu verwirklichen seien. Zum Kreis der Exekutoren der Urteile gehörten Kinder, Jugendliche und HJ- Mitglieder, nach Goebbels die „Träger, Vorreiter und Verfechter der jungen revolutionären Idee dieses Staates“, dann je ein Repräsentant der SA und der SS sowie weitere Vertreter der „Volksgemeinschaft“, ein Soldat, ein Musiker, ein Arbeiter und ein Bauer. Die Akteure hatten die „Reinigung“ ihrer Kultur also jeweils selbst zu exekutieren. Die Regie inszenierte die Bücherverbrennung als Bruch, als symbolische Vernichtung der „alten Zeit“, die als eine Epoche der Unterdrückung, Zerrissenheit, Not und Elend dargestellt wurde, und als symbolischen Aufbruch in eine „neue Zeit“, für die Wiedervereinigung, Einigkeit, Gleichheit, Freiheit und Modernität behauptet wurden. Die Regie hatte mit Bedacht auch den Ort des Geschehens ausgewählt, den Residenzplatz zwischen Salzburger Dom, ehemals fürsterzbischöflicher Residenz und barockem Residenz-Brunnen in der Kultur- und Festspielstadt Salzburg, wo der Scheiterhaufen angezündet wurde – etwa 1.200 Exemplare von Zeitschriften und Büchern von 56 bekannten Autorinnen und Autoren, darunter Weltliteratur, brannten. Es war der Furor eines intellektuellenfeindlichen und gehässigen Bürgertums, das allen humanistischen und aufklärerischen Werten abhold war. Es war antisemitisch und hatte — abrechnungssüchtig und gewaltbereit — insbesondere die katholische Kirche und die Träger des verhassten Austrofaschismus im Visier. Fünf Jahre Deutsches Reich seit 1933 waren diesen Provinz-Bürgern Vorbild – sukzessive Entrechtung von Regime-Gegnern, z. B. Entzug von Staatsbürgerschaften, Inhaftierungen und KZs, Verfolgungen, Morde – und: an etwa 80 Orten des Deutschen Reiches Bücherverbrennungen, von Bad Kreuznach und Berlin bis Würzburg – „symbolische Justifizierungen“, wie es hieß.

Bis heute gilt die These, diese Vernichtungsaktion auf dem symbolträchtigen Platz Salzburgs sei 1938 die einzige in der damaligen Ostmark gewesen. Dem ist nicht so: Neuere Forschungen zeigen, dass sich jenes provinzielle Strebertum auch anderswo austobte – etwa in Thalgau, in Reisach im Gailtal oder im Mai und November – im Zuge der Pogrom-Nacht –, als Thorarollen gemeinsam mit anderen rituellen Gegenständen entfernt oder vernichtet wurden, z. B. in Linz und Steyr – auf einem Sportplatz.

Sollte es ein Zufall sein, dass der, wie die NS-Presse mehrfach berichtete, einzige Redner an jenem 30. April 1938, jener Nazi-Landesrat und Lehrerschaftsführer namens Karl Springenschmid sich wohl selbst und Seinesgleichen porträtierte, als er – in einer ihm wohl unbewussten Projektion – das alte „Spießertum“ anprangerte, das es zu vernichten gelte, um die neue „Freiheit“ zu gewinnen, die allerdings „deutsch“, „rassisch rein“ sein musste. Dies verstanden die Nazis als HALTUNG. Stefan Zweig hatte schon 1933 gewusst, womit er es zu tun hatte – mit Brutalität, Dummheit, Unterwerfungslust und einer „Haßpsychose“. 1933 schrieb Zweig: „Was sonst geschieht, spottet jeder Beschreibung, jede Art von Recht, Freizügigkeit ist in Deutschland aufgehoben, und es wird nur ganz kurze Zeit dauern, und wir haben in Österreich das gleiche Schicksal.“

Die Bücherverbrennung vom 30. April 1938 ist Teil einer Trias von „anschlusseuphorischen“ Events des Jahres 1938 – die Bücherverbrennung, die Aufführung des Thingspiels „Das Lamprechthausner Weihespiel“ von Karl Springenschmid Ende Juli 1938 und die  Präsentation der Ausstellung „Entartete Kunst“ im Festspielhaus im September/Oktober 1938.

Die Bücherverbrennung hat außerdem noch eine andere fundamentale Dimension: Die von einem fanatisierten provinziellen Spießertum zu verantwortende Vernichtungs-Performance hatte zugleich eine größenwahnsinnige Zielrichtung. Denn sie sollte der Event-Auftakt sein, Salzburg – in enger Zusammenarbeit mit dem SS-Ahnenerbe – zum „nationalsozialistischen Missionszentrum“, zum „weltanschaulichen Ausstrahlungszentrum“ der angeblich neuen, modernen Epoche zu machen. In einer Denkschrift vom März 1938 heißt es: „Alle kulturpolitischen und volkspolitischen Einrichtungen“ seien hier in Salzburg und nicht etwa im „Altreich“ anzusiedeln, um die nazistische „Sendung“ zu erfüllen. Die  Bücherverbrennung war gedacht als Leuchtfeuer, das – wie es hieß – „nationalsozialistische Rom“ Wirklichkeit werden und es hell erstrahlen zu lassen.

Erinnerungskultur seit 1987 – Bemühungen um Erinnerung

1987, ein halbes Jahrhundert später, konnte auf der Basis von damals neuen Forschungsarbeiten, das jahrzehntelange kollektive Beschweigen dieses Vorkommnisses vom 30. April 1938 zum ersten Mal gebrochen werden. Es ist kein Zufall, dass dies im
Zusammenhang mit den Debatten um „Waldheim“ stand, als Österreich ein neues Verhältnis zu seiner NS-Vergangenheit gewann und HALTUNG einen neuen Wert gewann. Erstmals erinnerte daran eine Initiative der Salzburger Autorengruppe (SAG). Erich Fried  (1921-1988)sagte damals bei strömendem Regen in seiner aufrüttelnden Rede: „Und bloß die Bücherverbrennung zu verdammen und nicht zu kämpfen, das genügt nicht einmal, um neue Bücherverbrennungen zu verhindern, und das genügt nicht, um die Verbrennung der ganzen Welt zu verhindern. Das wollte ich sagen.“
Es dauerte weitere 20 Jahre, bevor 2007 erneut eine Gedenkveranstaltung an den Vandalenakt auf dem Residenzplatz des Jahres 1938 erinnerte. Vertreter des Zentrums für Jüdische Kulturgeschichte der Universität Salzburg (Gerhard Langer, Karl Müller, Armin Eidherr), die Israelitische Kultusgemeinde (Hofrat Marko Feingold), das Literaturhaus Salzburg (Tomas Friedmann), das Friedensbüro Salzburg (Christine Czuma), die Katholische Aktion (Generalsekretär Hannes Schneilinger), die Plattform www.erinnern.at (Sigrid Langer) und die Internationale Stefan Zweig Gesellschaft (Hildemar Holl) trafen sich mit dem Ziel, die Erinnerung an den 30. April 1938 mit all seinen aktuellen Implikationen wach zu halten: Die Salzburger Bücherverbrennung war Teilelement des viel größeren Kontinuums der Gewalt, ein Element der Gewaltspirale, die sich immer tiefer drehte, bis die Gewalt am Ende nicht um Dinge wie Bücher ging, sondern um die „anderen“, die „Ausgegrenzten“, „Missachteten“, „Verachteten“, um konkrete Menschen. Dank der großzügigen Unterstützung der Salzburger Sparkasse und der Stadt Salzburg konnte eine mehrteilige Veranstaltung vorbereitet werden, die von der Zivilgesellschaft getragen wurde. Die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus sollte nicht alleine der Politik oder der Verwaltung überlassen werden. Das hätte etwas von „verordnetem“ Gedenken. Erinnern und Gedenken macht besonders dann Sinn, wenn es öffentlich und aktiv geschieht und mitten aus der Gesellschaft heraus getragen wird. Robert Schindel sagte damals: „Hier stehen wir und gedenken der Bücherverbrennung 38, indes ununterbrochen in vielen Teilen der Welt Menschen verbrannt werden. Achten wir womöglich darauf, dass jene Symbolakte uns nicht und nie den Blick verstellen für die aktuellen Barbareien, die unter unseren Augen geschehen.“ Und er fügte im Sinne der immer bedrohten Freiheit des Wortes hinzu: „Denn der Meinungsstreit ist das eine, Verbote etwas ganz anderes. […] Es liegt im Wesen jeglicher Orthodoxie, gleichgültig welcher Religionen, Ideologien, eine Welt der eigenen Dogmen zu errichten, in denen nur diese Platz haben.“

Gegenwart benötigt eine reflektierende Erinnerungskultur: Seit den 1990er Jahren wurden in Salzburg viele Gedenkorte im öffentlichen Raum gestaltet. Es steht an, dass wir uns vom verschämten Erinnern verabschieden, es ist an der Zeit, dass wir endlich Verantwortung für die Erinnerungskultur übernehmen. Dafür gibt es bereits beeindruckende Beispiele z.B. Stolperstein-Projekt, Wissenschaftliches Projekt des Stadtarchivs Salzburg, Mahnmal für Roma-Sinti, Innenhof des Uni-Parks, Residenzplatz, Tafel an der Kirche, Antifa-Denkmal auf dem Bahnhofsvorplatz …

Empfohlene Zitierweise:
Tomas FRIEDMANN, Albert LICHTBLAU, Karl MÜLLER, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938, Salzburg 2022, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2022/ (Datum des letzten Zugriffs).

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Texte/Reden

Albert Lichtblau: „Erinnerungspolitik“ und „Wahrheit“:

Seit 2018 gibt es also das von Fatemeh Naderi und Florian Ziller gestaltete Mahnmal „Buchskelett“ zur Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung vom 30. April 1938. Wie eine stumme Zeugin steht es da und ist ein beliebter Sitzplatz für Menschen, die bei Hitze Ruhe und Schatten suchen, jausnen, sich erholen. Eine Tafel gibt ihnen die Möglichkeit sich zu informieren. Es ist kein sakraler Ort, sie dürfen und sollen ihn benutzen und im Idealfall einen Denkanstoß mitnehmen.

Genau darum geht es bei „stummen Zeuginnen“, die an die Gewalt in der NS-Zeit erinnern und bei Veranstaltungen wie dieser: Es ist wichtig, sie „zum Sprechen“ zu bringen, zu informieren, Denkanstöße anzubieten … Deswegen gibt es die Veranstaltungsreihe der „Initiative Freies Wort“

Das Bücherverbrennungs-Mahnmal wurde auf Initiative von vielen Menschen geschafft, aber es dauerte sehr lange. Es ging dabei darum, das Erinnern an die NS-Gewalt im öffentlichen Raum aus den Verstecken, dem verschämten Ignorieren herauszulösen, wie das lange Zeit auch in Salzburg üblich war. Wie viel Widerstand gab es gegen das öffentliche Erinnern! Ehre, Schuld und Scham wurden ständig mitverhandelt und damit das, was über die Vergangenheit, die NS-Vergangenheit wie und von wem gesagt werden darf. Schreiduelle, Flüche, Beschuldigungen sind noch nicht lange her …

Die Erinnerungsorte sind sichtbar geworden, informieren, machen mit den Orten der Gewalt in Salzburg vertraut, mit den Schicksalen von Menschen. Und das ist sehr viel wert.

Zum Thema „Wahrheit“ als Historiker: Es gibt nicht die eine historische Wahrheit, - ich spreche nicht von historischen Fakten - es braucht Dissens und das Akzeptieren mehrerer Versionen der Interpretation von Vergangenheit. Das ist der Reichtum einer selbstreflexiven demokratischen Kultur. Wer Anspruch auf die eine „Wahrheit“ erhebt, ist tendenziell autoritär, erhebt den Herrschaftsanspruch. Wir erleben das grade tagtäglich, sei es in Russland, der Türkei, aber auch in vielen anderen Ländern dieser Welt, in denen autoritäre Regime herrschen oder Kriege geführt werden. Viele Menschen wurden deswegen verhaftet, um ihre Stimmen zum Verstummen zu bringen. Sich nur mit Vergangenheit zu beschäftigen und nicht mitzudenken, wie Menschen aufgrund ihrer kritischen Haltung aktuell verfolgt werden, wäre unverzeihlich.

Angriffe auf selbstreflexive demokratische Diskussions- und damit auch Gedenk- und Erinnerungskultur gibt es auch in diesem Land.

Ereignisse wie die Bücherverbrennung 1938 sollten uns warnen: die Gewalt ging auch von diesem Ort aus. Die Muster von damals und heute ähneln einander: Die Nationalsozialisten taten nach der Machtübernahme so, als würde sie, die jahrelang für Terror und Unruhe gesorgt hatten, nun für Ruhe und Ordnung sorgen. Mit der von ihnen „gepachteten Wahrheit“ räumten sie mit all jenen, die sich ihnen entgegengestellt hatten. Darüber hinaus setzten sie ihr rassistisches Programm in die Tat um. Nun gehörte ihnen die Macht, Dissens oder wie vermeintliche „Andersartigkeit“ konnte zu einem Todesurteil werden. Und das passierte hier vor Ort. Deswegen sollten wir uns daran erinnern und gewarnt bleiben.

Empfohlene Zitierweise:
Albert LICHTBLAU, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Rede), Salzburg 2022, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2022/ (Datum des letzten Zugriffs).

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Tomas Friedmann, Albert Lichtblau, Karl Müller („Initiative Freies Wort“) : WAHRHEIT
Rede am 30. April 2022 im Salzburg Museum in Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938

Sehr geehrte Damen und Herren, wir danken Ihnen sehr herzlich für das Interesse und Ihr Kommen. Sich mit Vergangenheit zu beschäftigen und nicht mitzudenken, wie Menschen aufgrund ihrer kritischen Haltung aktuell, heute, in vielen Ländern der Welt verfolgt werden, ist untragbar, unverzeihlich. Ziel unserer Bemühungen muss stets die Verbindung zur Gegenwart sein: Erinnern für die Gegenwart und was vor uns liegt. Seit 2018 gibt es das [am Rande des Residenzplatzes] von Fatemeh Naderi und Florian Ziller gestaltete Mahnmal „Buchskelett“ zur hoffentlich aufrüttelnden Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung vom 30. April 1938. Ein stummer Zeuge ist es und ein beliebter Sitzplatz für Menschen, die bei Hitze Ruhe und Schatten suchen, sich erholen. Eine Tafel gibt ihnen allerdings die Möglichkeit sich zu informieren. Es ist KEIN sakraler Ort, sie dürfen und sollen ihn benutzen und im Idealfall einen Denkanstoß mitnehmen. Darum geht es bei solchen sog. „stummen Zeug*innen“, die an Gewalt erinnern, und bei Veranstaltungen wie dieser: Es ist wichtig, sie „zum Sprechen“ zu bringen … Vor 84 Jahren wurden auf dem Residenzplatz etwa 1.200 Exemplare von Büchern aus der Feder von insgesamt 56 Autorinnen und Autoren abgefackelt. Darunter Werke jüdischer Schriftsteller*innen, Werke der modernen Literatur sowie Texte des politischen Katholizismus und Schriften österreich-vaterländischer Provenienz – musste doch, ein paar Wochen nach der Annexion Österreichs, mit dem autoritären Ständestaat, der sogenannten „Systemzeit“ der Jahre zwischen 1934 und 1938, wie sich die Nationalsozialisten ausdrückten, abgerechnet werden – im Zeichen der neuen deutsch-völkischen, „arisch“-rassistischen WAHRHEIT des neuen Regimes. Die Regie hatte eine Art Feuergericht über die „alte“ Zeit im Sinn, die als eine Epoche der Unterdrückung, Zerrissenheit und völkischer Not dargestellt wurde, also die Performance eines radikalen Bruchs. Es sei keine Schande, so hieß es, sich daran zu beteiligen – Zugriff auf das Gewissen. Zugleich sollte symbolisch der Aufbruch in eine angeblich neue, jugendbewegte und angeblich revolutionäre Epoche beschworen werden, was sich freilich als Lüge erweisen sollte. „Verbrannt, vernichtet sei alles, was an klerikaler Knechtung und jüdischer Verderbnis den Aufbruch einer wahrhaft deutschen Kultur behinderte“, so hieß es (Bericht im Salzburger Volksblatt [SVB], 2. Mai 1938) Hierauf wurde der Bücherstoß entzündet und der Reihe nach Bücher, zerfetzte Bücher mit „kernigen Urteilssprüchen“ (SVB, 2. Mai 1938) verschiedener Akteure der rassisch reinen „Volksgemeinschaft“ ins Feuer geworfen: „Ins Feuer werfe ich das Buch des Juden Stefan Zweig, daß es die Flammen fressen wie alles jüdische Geschreibe. Frei erheb‘ sich, geläutert, der deutsche Geist.“¹ Ein Musiker durfte rufen, als er die Biographie Max Reinhardts ins Feuer warf: „Möge das Feuer auch Schimpf und Schand verzehren, die unserer deutschen Stadt von diesem Geschmeiß geschah. Frei und deutsch sei die Stadt Mozarts!“ (SVB, 2. Mai 1938). Hierauf wurde der Bücherstoß entzündet und der Reihe nach Bücher mit, wie es hieß, „kernigen Urteilssprüchen“ (SVB, 2. Mai 1938) verschiedener Akteure der rassisch reinen „Volksgemeinschaft“ ins Feuer geworfen, etwa von einem zehnjährigen Buben, einem Mittelschüler, einem SA- und einem SS-Mann, einem Soldaten, Musiker, Arbeiter und Bauern. Welch Ungeistes Kind diese verordneten Feuersprüche waren, mögen zwei Beispiele illustrieren: Ein Mittelschüler durfte sich über Stefan Zweigs Werk hermachen: „Ins Feuer werfe ich das Buch des Juden Stefan Zweig, daß es die Flammen fressen wie alles jüdische Geschreibe. Frei erheb‘ sich, geläutert, der deutsche Geist.“¹ Ein Musiker durfte rufen, als er die Biographie Max Reinhardts ins Feuer warf: „Möge das Feuer auch Schimpf und Schand verzehren, die unserer deutschen Stadt von diesem Geschmeiß geschah. Frei und deutsch sei die Stadt Mozarts!“ (SVB, 2. Mai 1938). So klangen die „symbolischen Justifizierungen“ und der totalitäre Wahrheitsanspruch eines gehässigen Kleinbürgertums, das allen humanistischen und aufklärerischen Werten abhold war und sich gewalttätig verhielt. Die Salzburger Bücherverbrennung hatte die einschlägigen Abfackelungs-, Einstampfungs- und Schandpfahl-Spektakel im „Tausendjährigen Reich“ Hitlers des Jahres 1933 zum Vorbild, also die Aktionen in über 90 Städten und Märkten des „Dritten Reichs“. [Diese standen analog in einer sehr langen historischen Tradition von Büchervernichtungen seit der Antike] Fünf Jahre später machte man es in der Salzburger Provinz nach – übrigens nicht nur hier im inzwischen zur „Ostmark“ degradierten Österreich, z. B. auch in Thalgau, Linz oder auch in Reisach im Gailtal.² Die Bücherverbrennung war Teil von drei annexionseuphorischen Events des Jahres 1938. Zu dieser kam die Aufführung des sog. Thingspiels „Das Lamprechtshausner Weihespiel“ von Karl Springenschmid. Ende Juli 1938 fanden 5000 Menschen vor einer extra dafür errichteten Freilichtbühne Platz, um eine geschichtsrevisionistische Darstellung des Naziputsches des Jahres 1934 vorgeführt zu bekommen – gewissermaßen Ersatz für den Salzburger „Jedermann“. Schließlich konnte im September/Oktober 1938 auch noch schnell die Wanderausstellung „Entartete Kunst“ in das Festspielhaus des „deutsche Rom“ geholt werden – 40.000 Besucher*innen wurden gezählt – ein Riesenerfolg. Die Bücherverbrennung sollte der spektakuläre Auftakt sein, Salzburg – in enger Zusammenarbeit mit dem SS-Ahnenerbe – zum „nationalsozialistischen Missionszentrum“, zum „weltanschaulichen Ausstrahlungszentrum“ der angeblich neuen, modernen Epoche zu machen. In einer Denkschrift vom März 1938 heißt es: „Alle kulturpolitischen und volkspolitischen Einrichtungen“ seien hier in Salzburg und nicht etwa im „Altreich“ anzusiedeln, um die nazistische „Sendung“ zu erfüllen. Die Bücherverbrennung war gedacht als Leuchtfeuer, das – wie es hieß – „nationalsozialistische Rom“ Wirklichkeit werden und es hell erstrahlen zu lassen. Erst 1987, ein halbes Jahrhundert nach der Bücherverbrennung von 1938, konnte auf der Basis von damals neuen Forschungsarbeiten (z. B. Ernst Hanisch, Gert Kerschbaumer) das jahrzehntelange kollektive Beschweigen dieses Vorkommnisses zum ersten Mal gebrochen werden. Erstmals erinnerte die Salzburger Autorengruppe (SAG) daran. Erich Fried (1921–1988) sagte damals in seiner aufrüttelnden Rede: „Und bloß die Bücherverbrennung zu verdammen und nicht zu kämpfen, das genügt nicht einmal, um neue Bücherverbrennungen zu verhindern, und das genügt nicht, um die Verbrennung der ganzen Welt zu verhindern. Das wollte ich sagen.“ Das Landesstudio Salzburg (Klaus Gmeiner, Brita Steinwendtner) berichtete damals ausführlich über die Veranstaltung. Es dauerte weitere 20 Jahre, bevor 2007 erneut eine Gedenkveranstaltung an das unerhörte Vorkommnis auf dem Residenzplatz des Jahres 1938 erinnerte. Seit 2013 folgten weitere Aktivitäten – Zivilcourage, Haltung, einst und jetzt. Anlässlich der 75. Wiederkehr der „Salzburger Bücherverbrennung“ initiierte die 2011 gegründete „Initiative Freies Wort“ im April 2013 rund um den Tag der Erinnerung eine Reihe von Veranstaltungen, Projekten und Aktionen (u.a. mit Barbara Coudenhove-Kalergi, Marko Feingold, Erich Hackl, Felix Mitterer, Oliver Rathkolb). In den Jahren 2019 und 2021 standen die Erinnerungsveranstaltungen unter den Motti „Zivilcourage – einst und jetzt“ und „Haltung – einst und jetzt“. Prinzipiell gilt: Gegenwart benötigt eine reflektierende Erinnerungskultur: Spätestens seit den 1990er Jahren wurden in Salzburg einige Gedenkorte – Memorials, Mahnmale, Gedenktafeln – im öffentlichen Raum gestaltet. Dafür gibt es auch in Salzburg einige bemerkenswerte Beispiele:
  • 1991/2018 „Euthanasie-Denkmal“ (Otto Saxinger, Kurgarten)
  • 1995 Gedenktafel beim ehemaligen Hauptquartier der Gestapo (Außenmauer des Franziskanerklosters)
  • 1997 Gedenktafel für die hingerichteten Salzburger Lokalbahner (Halle des Lokalbahnhofs)
  • 1985 Mahnmal für Roma und Sinti (Zoltan Pap, Trabrennbahn, Ignaz-Rieder-Kai)
  • 2002/2020 Antifaschismus-Denkmal (Heimo Zobernig, Südtiroler Platz),
  • 2007 Stolperstein-Projekt (Gunter Demnig, Patenschaften für bisher 477 Stolpersteine, Recherche hauptsächlich Gert Kerschbaumer)
  • seit 2008 das in mehreren Bänden erschienene wissenschaftliche Projekt des Stadtarchivs Salzburg („Die Stadt Salzburg im Nationalsozialismus“) sowie die inzwischen abgeschlossene wissenschaftliche Aufarbeitung der Straßenbenennungen nach Personen,die mit dem NS verbunden waren – und die heftige politische Debatte darum (auch die z. T. Missachtung bzw. revisionistische Umdeutung wissenschaftlicher Erkenntnisse durch politische Verantwortliche der Stadt Salzburg)
  • 2011 Gedenktafel Bücherverbrennung (Südfassade der St. Michael-Kirche, Residenzplatz)
  • 2012 Mahnmal an die Bücherverbrennung („In Memoriam Bücherverbrennung“ von Zoltan Pap, Innenhof des Uni-Parks)
  • 2014 Erinnerung an Wehrmachtsdeserteure (Gedenkstein in Goldegg)
  • 2018 Mahnmal „Buchskelett“ zur Erinnerung an die Bücherverbrennung (Fatemeh Naderi/Florian Ziller, Residenzplatz)
  • 2019 Memorial für Frauen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus (Iris Andraschek, Maxglaner Stölzlpark).
Erinnern und Gedenken macht besonders dann Sinn, wenn es öffentlich und aktiv geschieht und mitten aus der Zivil-Gesellschaft heraus getragen wird. Robert Schindel sagte in seiner Rede auf dem Residenzplatz im Jahre 2007: „Hier stehen wir und gedenken der Bücherverbrennung 38, indes ununterbrochen in vielen Teilen der Welt Menschen verbrannt werden. Achten wir womöglich darauf, dass jene Symbolakte uns nicht und nie den Blick verstellen für die aktuellen Barbareien, die unter unseren Augen geschehen.“ Und er fügte im Sinne der immer bedrohten Freiheit des Wortes hinzu: „Denn der Meinungsstreit ist das eine, Verbote etwas ganz anderes. […] Es liegt im Wesen jeglicher Orthodoxie, gleichgültig welcher Religionen, Ideologien, eine Welt der eigenen Dogmen zu errichten, in denen nur diese Platz haben.“

Was wäre das für eine Welt wenn die Wirklichkeit diese Wirklichkeit rund um uns auch die Wahrheit wäre? So lautet eine Strophe im Gedicht „Realitätsprinzip“ von Erich Fried (Es ist was es ist: Liebesgedichte, Angstgedichte, Zorngedichte. Berlin 1990).

Das Wirkliche hat mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine viele von uns tief getroffen: Leid, Tod, Flucht und alles Vor- und Unvorstellbare – via Nachrichten täglich in unser Leben gespült – sind unerträglich, erschüttern uns, verfolgen uns sogar in Träumen ... Wohl auch deshalb,weil viele von uns das Land bereist haben und dort Freunde sind, weil dieser Krieg so nahe ist, in Europa passiert ... und nicht irgendwo in Asien, Afrika oder im Mittleren Osten. Ist das, was wir unter Wirklichkeit verstehen, auch tätsächlich wahr? Es gibt nicht die EINE historische Wahrheit – ich spreche natürlich nicht von unbezweifelbaren historischen Fakten –, es braucht Dissens und das Akzeptieren mehrerer Versionen der Interpretation von Vergangenheit. Das ist der Reichtum einer selbstreflexiven demokratischen Kultur. Wer den Anspruch auf die eine „Wahrheit“ erhebt, ist tendenziell autoritär, erhebt den Herrschaftsanspruch. Menschen, die sich in autoritären Regimen – wir erleben das gerade im Reich Putins – gegen die offizielle „Wahrheit“ stellen, werden meist aus dem Verkehr gezogen, weggesperrt, gefoltert und auch getötet. Kritische Menschen sollen zum Verstummen gebracht werden. Das sehen wir weltweit, das zeigen Einschränkungen des aktuellen Krieges gegen die Ukraine bereits im Vorfeld in Russland: Websites wurden geblockt, Radiosender aufgelöst und auf Antrag der russischen Staatsanwaltschaft die „Internationale Gesellschaft für historische Aufklärung, Menschenrechte und soziale Fürsorge MEMORIAL“ vom Obersten Gericht per 28. 12. 2021 verboten. Die offizielle Angst vor dem Wort, vor Haltung, vor inoffiziellen „Wahrheiten“ zeigen auch die jährlichen Berichte über inhaftierte Journalistinnen und Journalisten, die überwacht und bedroht werden; laut „Reporter ohne Grenzen“ sind z. B. in der Türkei aktuell über 100 Medienmitarbeiter im Gefängnis. Nächste Woche, am 3. Mai, dem „World Press Freedom Day“ werden wir wahrscheinlich davon hören. Wahr-scheinlich. Scheinbare Wahrheit. Fake-News. Also gefälschte Nachrichten. Falschmeldungen. Desinformationen. Damit leben wir alle – besonders auf „sozialen Netzwerken“. Kein Wunder, dass diese Medien im Unterschied zu klassischen besonders schlecht in der Umfrage von „UNIQUE research“ abschneiden. Darin haben im vergangenen Herbst – veröffentlicht am 2. Oktober im Magazin „profil“ – 71 % der Österreicher das Gefühl geäußert, dass Politiker auch bei uns die Unwahrheit sagen

Noch einmal Erich Fried und sein Gedicht „Die lautere Wahrheit“:

Die ganze Unwahrheit setzt sich aus lauter ganz wahren Wahrheiten ...oder Teilwahrheiten zusammen

Nur haben sich die miteinander noch nie ganz auseinandergesetzt

So ist die ganze Lüge möglich geworden (Erich Fried; Gesammelte Werke, Band 3, S. 259)

Empfohlene Zitierweise: Tomas FRIEDMANN, Albert LICHTBLAU, Karl MÜLLER, WAHRHEIT. Rede im Salzburg Museum in Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938, Salzburg 2022, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2022/ (Datum des letzten Zugriffs).

¹ Bereits 1933 hatte Stefan Zweig geschrieben, als seine Bücher in deutschen Städten vernichtet worden waren: „Was sonst geschieht, spottet jeder Beschreibung, jede Art von Recht, Freizügigkeit ist in Deutschland aufgehoben, und es wird nur ganz kurze Zeit dauern, und wir haben in Österreich das gleiche Schicksal.“ (Stefan Zweig an Frans Masereel, 15.4.1933. In: Stefan Zweig: Briefe an Freunde. Hg. von Richard Friedenthal. Frankfurt a.M. 1978, S. 226ff.) ² Gitschthaler, Bernhard/Jamritsch, Daniel: Das Gailtal unterm Hakenkreuz. Über Elemente nationalsozialistischer Herrschaft im Gailtal, Klagenfurt: Kitab-Verlaf 2013. Eine der besonderen „kulturellen“ Tätigkeiten der Hitlerjugend im Gailtal war dabei eine Bücherverbrennung, die am 17. Mai 1938 in Reisach stattfand. (S. 26) Bücherverbrennungen wurden zumeist von der SA organisiert und öffentlich im Zuge von diversen „Feierlichkeiten“ durchgeführt. Verbrannt wurden dabei die Werke unliebsamer AutorInnen und kritischer oder andersdenkender Menschen. Ob es im Gailtal noch mehrere Bücherverbrennungen gab, ist bisher nicht restlos geklärt. Die Wahrscheinlichkeit dafür ist aber recht hoch. Weitere Orte von Bücherverbrennungen: Bruck an der Leitha (nach Alois Eder), Attnang-Puchheim, Lofer. Vgl. auch Karl Müller: „Fort mit dem volksfremden ,Geistesgut’! Zu einigen Aspekten von Kulturvernichtung – Versuch einer Einführung. In: Heimo Halbrainer, Gerald Lamprecht, Michaela Wolf (Hrsg.): „Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“ Bücherverbrennungen in der Vergangenheit, Gegenwart und in der Erinnerung. Graz: CLIO 2020, S. 45–64.
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Rede Brita Steinwendtner

Diese Nacht vergeß ich nie!

Diese Nacht vergeß ich nie!
Diese Nacht so voller Spannung
nach den Jahren der Entmannung,
des Betruges, der Verbannung
und der dumpfen Lethargie.

 

So feierte Augustin Ableitner, genannt Blasi und ein hasserfüllter, menschenverachtender NS-Autor die Nacht des Anschlusses vom 12. März 1938. Die Salzburger jubelten Adolf Hitler im Taumel der Begeisterung zu,

Sie wissen es, es ist vielfach dokumentiert, die ausgestreckten Arme, die dargebotenen Blumenbüschel, die frenetischen Heil-Rufe. Erich Fried, der große Dichter einer wachgewordenen Generation in den 1960/70er Jahren, erlebte sie in Wien, und sie klangen ihm als verballhornter Schrei-Chor

Hitler-heidl-Hitler-heidl noch im Ohr, als er zur ersten Feier der Bücherverbrennung 1987 auf dem Salzburger Residenzplatz seine aufrüttelnde Rede des Widerstands hielt. Seine beschwörende Aufforderung, zu differenzieren und zum Widerstand nicht nur gegen die
geschaffenen Fakten der Gewalt, sondern bereits früher: Lüge als Lüge zu erkennen, die Lüge, die als Wahrheit deklariert und indoktriniert wird und als Rechtfertigung für alle Gräuel gilt, damals und heute.

Die Lügen des Putin-Regimes haben keine kurzen Beine. Sie haben eine lange Geschichte. Die Lüge ist das Fundament, auf dem die Herrschaft Wladimir Putins ruht. Die Lüge und die grenzenlose Gewalt, die Lüge als  Vorbereitung eines Vernichtungsfeldzugs, wie ihn die russische Armee mit Massenmord, Vergewaltigungen, Folter und Plünderei in der Ukraine unternimmt. Das ist keine militärische „Spezialoperation“, es ist Auslöschung …

... das war am 7. April in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu lesen. Putin selbst nannte es „Entnazifizierung“ und der russische Autor Timofej Sergejzew nannte den Genozid an den Ukrainern einen notwendigen Schritt des „gerechten Krieges.“ Wie entmenscht das mittlerweile
in die Tat umgesetzt wurde, haben Sie alle verfolgt, sodass man derzeit über nichts sprechen kann, was nicht damit zusammenhängt – nicht einmal über das herrliche Blühen der Frühlingslandschaft, nicht über das Jubilieren der Vögel …….

Sie dürfen nicht erwarten, dass ich heute nicht von Ereignissen spreche, die jetzt, neben uns, geschehen, so furchtbar, dass sie eingewachsen sind in uns. Wir könnten an viele Diktaturen der Gegenwart denken – am nächsten liegt
uns heute und zu diesem Anlass wohl die Erinnerung an das Hitlerregime. Ich vergleiche nicht und ich verwende keinen Komparativ, sage nicht grauenhaft, grauenhafter, ich spreche nur von Faktizität.

Ich soll über die Bücher-Verbrennung vor 84 Jahren vom 30. April des Jahres 1938 sprechen. Sie fand nur drei Wochen nach dem sogenannten Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich statt, der harmlos „Heimkehr der Ostmark“ genannt wurde. Auch hier begann es mit einer Lüge. Auch hier hatte sie eine lange Geschichte, eine gründliche und geduldige Vorbereitung auf die Vernichtung. Längst hatte sich das Hakenkreuz und alles, was damit zusammenhing, in den Fäusten eingenistet, in die vermeintlichen Hoffnungen eingepflanzt, sich in die Köpfe eingehämmert. Abertausende waren bereits verhaftet, getötet oder flohen ins Exil. Im Frühjahr 1942, nach dem verzweifelten Selbstmord Stefan und Lotte Zweigs im fernen Brasilien, richtete der ebenso geflüchtete Carl Zuckmayer von seiner Farm in Vermont aus, wo er sich mit seiner Frau als Truthahn- und Hühnerzüchter durchzuschlagen suchte, seinen Aufruf zum Widerstand:

Er, Hitler, wird und kann nicht siegen, er kann und wird nicht siegen, wenn er nicht Fuß fasst in uns selber und uns von innen überwältigt, auslöscht, vergiftet und zerstört.

In uns – sagt Zuckmayer. Jeder Einzelne ist zum Widerstand aufgefordert und das geht auch uns heute an. Denn wie rapide wird wahr, was Heinrich Heine 1821 in seiner Tragödie Almansor schrieb und was sich in zahlreichen Beispielen aus religiösen, politischen und terroristischen Motiven durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart zieht und was nicht oft genug zitiert werden kann:

Es war ein Vorspiel nur, dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.

*


Residenz-Platz, hier, wo wir stehen: er war mit Bedacht für das Spektakel der Bücherverbrennung gewählt. Der Ort symbolisiert Macht, klerikale, weltliche und künstlerisch-wissenschaftliche mit der unmittelbaren Nähe von Mozart, Georg Trakl und Christian Doppler: Sachverhalte und Reizwörter, die umzudeuten oder zu bekämpfen waren. Der oberste Regent, Regisseur und Richter dieses Abends war Karl Springenschmied, der „Goebbels von Salzburg“, wie bei Gert Kerschbaumer zu lesen ist, entlassener Lehrer und unter den Nationalsozialisten zum Leiter des Salzburger Schulwesens und des NS-Lehrerbundes avanciert. „Oberster Richter“ nannte er sich selbst auf dem Programmzettel. Die Richtstätte mit dem Galgen war also nicht im mittelalterlichen Gnigl und nicht draußen im Nonntal, auf der Wiese gegenüber dem heutigen  Friedhof. Nein, am Abend dieses 30. April 1938 um 20 Uhr war der „Richt“- Platz hier auf Residenzplatz. Ein Strafgericht zur Aktion wider den undeutschen Geist sollte abgehalten werden, zur Vernichtung aller und alles dessen, was gegen das NS-Regime gedacht, geschrieben, gemacht wurde.

Und da kommen sie, drehen Sie sich um, da marschieren sie ein, die Buben und Halbwüchsigen der Hitlerjugend! Trommeln, Trompeten und Fackeln sind dabei, da kommen sie in ihren weißen Stutzen, der Knickerbocker und dem weißen Hemd unter der Joppe, alle in Reih und Glied. Die Mütter werden am Vortag die Hemden noch sauber gewaschen und sie am 30. vormittags sorgsam gebügelt haben, stolz werden sie gewesen sein, dass ihr Bub dazu auserkoren war, und die Väter werden ihnen in die Augen geschaut und gesagt haben: sei stark, hau rein, Heil Hitler!

Und jetzt, schauen Sie nur, wie ernsthaft die Buben der HJ die Bücher, die sie in den letzten Wochen gesammelt haben oder die im Schloss Mirabell aus privaten Haushalten, Leihbibliotheken und Buchhandlungen abgegeben wurden, 1 200 sind es geworden!,

sehen Sie ihnen in die Gesichter, der Bildberichterstatter des nazifreundlichen „Salzburger Volksblattes“, Franz Krieger, hat es bestens dokumentiert, wie ernsthaft und eifrigsie die Bücher zu zerreißen suchen, einzelne Blätter herausreißen und dann alles unter markigen Urteilssprüchen ins Feuer werfen. Sie sind dazu ab-gerichtet worden, die Flammen lodern auf und erhellen die Kulisse schön und gespenstisch.

Viele von ihnen waren schon nachmittags beim Maibaum-Aufstellen dabei gewesen, von den begeisterten Eltern mitgenommen, von den HJ-Führern überzeugungsstark dazu aufgefordert und jetzt, am Abend, als es bereits finster war, kamen sie als Hauptdarsteller. Sie werden es als Fest und Auszeichnung empfunden haben, denn sie, die Jugend, die Zukunft des Reiches, sie durften das Fanal beginnen, sie durften den riesigen Scheiterhaufen entzünden und sie waren es, die die Bücher den Flammen übergeben durften. Ein Soldat, ein Arbeiter, ein Bauer, ein
Musiker waren auch dabei als Repräsentanten ihres Standes, aber Hauptakteure dieser gewaltigen Inszenierung mit rund 5 000 Menschen war die Hitlerjugend – sogar die New York Times wird darüber berichten, verwundert darüber, was aus der weltoffenen Festspielstadt geworden war, die jetzt zu einem arischen Rom gemacht werden sollte.

Auf dem Platz war von „Ausmerzung“, von „Geschmeiß“ und „Säuberungsaktion“ die Rede, von gerechtem Krieg und dass sie, die Jugend, vom Schicksal auserwählt war, diese Aufgabe durchzuführen. Wenige Jahre später lagen die älteren unter ihnen zerborsten, zerschossen und zerfetzt an den Fronten Europas, Asiens und Afrikas. Währenddessen schlug sich der SS-Hauptsturmführer Karl Springenschmied heil durch, flüchtete bei Kriegsende vor einer Verhaftung, nahm eine falsche Identität an, 1951 wurden die gerichtlichen Erhebungen eingestellt und 1953 hob Theodor Körner das Berufsverbot auf, sodass er, wieder unter seinem Namen, zahlreiche weitere Werke veröffentlichen konnte, unter anderem eine Biographie über Österreichs Schi-Nationalhelden Toni Sailer – –

Verbrennung: Bücher vernichten, Geist, Vernunft, freies Denken, weltoffene Szenarien ausrotten, bewusst zerstören für die Gleichschaltung der NS-Gewaltherrschaft, perfide als Befreiung vom jüdischen, klerikalen und sozialistischen Unrat umgedeutet und inszeniert, als dynamischer Aufbruch der Jugend in eine neue Zeit. Werke von Zuckmayer, Zweig, Döblin, Sigmund Freud brannten und verkohlten, von Else Lasker-Schüler, Jakob Haringer, Alexander Moritz Frey, Joseph August Lux, Vicki Baum, Arthur Schnitzler, Franz Werfel und vielen, vielen mehr. Salzburg war kein Einzelfall, ihm folgten im nahen Thalgau und in anderen Dörfern und Städten weitere Bücherverbrennungen und in Deutschland hatte es schon 1933, unmittelbar nach Hitlers Machtübernahme, an die 50 davon gegeben.

Die Bücherverbrennung in Salzburg war nicht von oben angeordnet. Die eifrige NS-Lehrerschaft war es, ihr zur Seite SA und SS, die das Fanal organsierten: Lehrer und Eltern, die Vorbild sein sollten für die Werte von Bildung und Humanität, verführten eine offene, gläubige Jugend, begeisterungsfähig wie alle jungen Menschen, zu Vernichtung, Hass und Ausgrenzung. Das vergisst sich nicht so schnell. Das schwelt und bleibt.

Und auch das vergaß ich nie:
Hinter beiden Rollgardienen
Kauern die Systemruinen
Und die Zähne klappern ihnen.
Tja, nun kommt die Reih an sie!

So lautet die letzte Strophe von Blasi Augustin Ableitners Gedicht zum Anschluss und schnell zeigte sich – Sie hier heute Abend wissen es – wie recht er mit seiner Häme behalten sollte. Verhaftungen, Folter, Abtransport und der Mord an Millionen Andersgesinnten aus allen Lagern, den katholischen, sozialdemokratischen oder kommunistischen, an den Widerständlern und Menschen jüdischer Abstammung, ließ nicht lange auf sich warten. Salzburg war bereits in den 1920er Jahren dank seiner Grenznähe zu einer heimlichen Kommandozentrale der NSDAP geworden, was Stefan Zweig, der Wahlsalzburger auf dem Kapuzinerberg, mit zunehmender Panik registrierte. Zusätzlich beflügelnd wirkte die Nähe des vergötterten Führers, dessen Sperrgebiet Obersalzberg bei Berchtesgaden mit dem zur repräsentativen Residenz ausgebauten Berghof sowie den Anwesen der wichtigsten NS-Bonzen ab Mitte der 1930er zum zweiten Regierungssitz geworden war. Beflissen sollte Salzburg darum zum Mustergau gemacht werden.

Wir haben heute Vormittag im Symposion zur Wahrheit von den Methoden und Machinationen gehört, sie zu verfälschen und sie durch die Lüge in vielfachem Gewand zu ersetzen.

Aber bevor wir nur entsetzt sind: gehen wir in uns, nehmen wir unseren eigenen Alltag und das Leben auf unseren Straßen in den Blick. Beginnen wir im Kleinen und Nahen und fragen uns: Wie verhalten wir uns zueinander und zu den aktuellen Fragen der Zeit? Wie erziehen wir unsere Kinder, wie sprechen wir ihnen von Frieden und Menschenwürde und davon, dass es nicht viele, aber dennoch einige unumstößliche Wahrheitengibt, die nicht in wie immer geartete persönliche Wahrheit und schon gar nicht in Verschwörungs-Szenarien oder letzten Endes in mörderische Ideologie umgedeutet werden dürfen?

Schon Hannah Arendt, die große Philosophin, warnte davor, mit Tatsachen umzugehen, als handle es sich um bloße Meinungen. Nennen wir darum eine Seuche eine Seuche, eine Pandemie eine Pandemie, sie wird nicht nur so genannt, sondern sie ist eine, und handeln wir danach!  Nennen wir Krieg Krieg und Bestialität Bestialität und tun wir alles, was wir können, um sie zu verhindern! Und nennen wir eine Bücherverbrennung die Verbrennung von Büchern, von Vernunft und Freiheit, der bald verbrannte Menschen und verbrannte Erde folgen werden.

Der Mensch hört auf, zu sein, was er ist, wenn er aufhört, sich aufzulehnen,

schreibt Dzevad Karahasan, der die Belagerung und Aushungerung von Sarajewo überlebte und die totale Zerstörung der Bibliothek mit Abertausenden jahrhundertealten, unschätzbaren Originalen aus vielen Kulturen, Völkerschaften und Religionen. Leisten wir Widerstand,
misstrauen wir den Phrasen, beschönigen wir nicht und denunzieren wir nicht, sondern sagen, was Wahrheit ist: Auch, dass es der Anfang von Krieg und Terror ist, wenn man Kinder und Jugendliche zur Vernichtung erzieht, ab-richtet.

Sie haben vielleicht die Bilder gesehen von heutigen russischen Kindern, verkleidet als Soldaten, die übergroßen Kappen auf dem Kopf, die vor den laufenden Kameras sagen müssen: “Für Papa und Mama“ würden sie kämpfen, zur „Verteidigung des Vaterlandes.“ Die Lüge, der
Missbrauch, stehen am Beginn.

In die Klänge des Glockenspiels und auf den Weg nachhause möchte ich Ihnen zum Abschluss den Aufruf zum Mißtrauen von Ilse Aichinger mitgeben, den sie unmittelbar nach Ende des Zweiten Weltkrieges 1945 einer Gesellschaft, die sich schnell wieder beruhigen wollte, schrieb:

[…] Uns selbst müssen wir mißtrauen. Der Klarheit unserer Absichten,
der Tiefe unserer Gedanken, der Güte unserer Taten! Unserer eigenen Wahrhaftigkeit
müssen wir mißtrauen! […] Kaum haben wir gelernt, den Blick zu heben, haben wir
auch schon wieder gelernt, zu verachten und zu verneinen. Kaum haben wirstammelnd versucht, wieder „ich“ zu sagen, haben wir es schon mißbraucht! Und wir
beruhigen uns wieder. Aber wir sollen uns nicht beruhigen!“

Empfohlene Zitierweise:
Brita STEINWENDTNER, Erinnerung an die Salzburger Bücherverbrennung 1938 (Rede), Salzburg 2022, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2023/ (Datum des letzten Zugriffs).

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Donna Donna oder Das Kälbchen

Jiddisch ‫ַא‬‫נ‬‫ָא‬‫ד‬ ‫ַא‬‫נ‬‫ָא‬‫ד‬ „Dona Dona“, auch ‫ס‬‫ָא‬‫ד‬ ‫ל‬‫ב‬‫ל‬‫ע‬‫ק‬ dos kelbl („das Kälbchen“). Als Dana Dana in jiddischer Sprache für das Musical Esterke (1940–1941) verfasst. Text: Aaron Zeitlin, Musik: Sholom Secunda. In der Liedersammlung „Es brennt, Brüder, es brennt. Jiddische Lieder“ (Hg.von Lin Jaldati und Eberhard Rebling. 1. Aufl., Berlin: Rütten & Loening 1966) wird als Textdichter noch Jizchak Katzenelson (1886-1944) geführt. Die englische Übersetzung und Bearbeitung des Liedes von Sheldon Secunda (Sohn des Komponisten) unter dem Titel Donna Donna um 1956 wurde ein internationaler Erfolg. Übersetzungen u.a. ins Deutsche, Französische, Japanische, Hebräische, Russische. Viele Interpreten machten das Lied bekannt, u.a. Joan Baez (1960), Donovan (1965), Esther Ofarim und Zupfgeigenhansel.

oajjfn furl ligt doss kelbl,
ligt gebundn mitn schtrik.
hojch in himl flit doss schwelbl,
frejdt sich, drejt sich hin un krik.
lacht der wint in korn, lacht un lacht un lacht;
lacht er op a tog ganzn mit a halber nacht.
dona, dona, dona …

schrajt doss kelbl, sogt der pojer:
wer-she hejsst dich sajn a kalb?
wolsst gekert zu sajn a fojgl
wolsst gekert zu sajn a schwalbl
lacht der wint …dona, dona, dona

Bldne kelber tut men bindn
un men schlept sej un men schecht.
wer ss’hot fligl, flit arojfzu,
is baj kejnem nit kejn knecht.
lacht der wint …
Auf dem Wagen liegt ein Kälbchen
liegt da, gefesselt mit einem Strick.
Hoch am Himmel fliegt ein Vogel,
freut sich, dreht sich hin und zurück.
Da lacht der Wind im Kornfeld, lacht und lacht
Und lacht; lacht den ganzen Tag über und
noch die halbe Nacht. Dona, dona, dona …

Schreit das Kälbchen, sagt der Bauer:
„Wer hat dich geheißen, ein Kalb zu sein`“
Du hättest auch ein Vogel werden können!
Wärst du doch eine Schwalbe geworden!
Da lacht der Wind …Dona, dona, dona …

Arme Kälber werden gefesselt
Und geschleppt und geschlachtet.
Wer Flügel hat, fliegt aufwärts,
Ist dann niemandes Knecht!
Da lacht der Wind …Dona, dona, dona

[Übersetzung: Regina Hopfgartner]

Für das Salzburger Glockenspiel neu gesetzt von Adelheid Schmidt und ihrer Familie (2022)

Empfohlene Zitierweise:
Donna Donna oder Das Kälbchen, Für das Salzburger Glockenspiel neu gesetzt von Adelheid Schmidt und ihrer Familie, Salzburg 2022, online unter: Initiative Freies Wort, https://www.initiative-freies-wort.at/veranstaltungen/veranstaltung-2023/ (Datum des letzten Zugriffs).

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