Veranstaltung 2025

Programm

Mittwoch, 30. April 2025, 18.30 Uhr – Alte Residenz, Residenzplatz

Hoffnung

Im Rahmen der alljährlichen Gedenkveranstaltung zur „Salzburger Bücherverbrennung 1938“ beschäftigt sich die „Initiative Freies Wort“ am Mittwoch, dem 30. April 2025, 18.30 Uhr, im Rittersaal der Alten Residenz/Salzburg sowie am Mahnmal auf dem Residenzplatz mit dem Thema HOFFNUNG.

Das Gedächtnis an die „Salzburger Bücherverbrennung“ erschien fast fünfzig Jahre lang wie gelöscht. So lange dauerte es, bis 1987 eine Initiative der Salzburger Autorengruppe erstmals an dieses ungeheuerliche Vorkommnis erinnerte. Erich Fried nahm damals in seiner aufrüttelnden Rede den Vandalenakt der Salzburger Bücherverbrennung zum Anlass, von Grundsätzlichem zu sprechen – von der Vernichtung des Buches als einem symbolischen Zeichen der Auslöschung von Geist, Freiheit und Emanzipation, also von einem virulenten, leider wieder aktuellen Problem.

Im Jahr 2007 wurde der Residenzplatz erneut zum Ort der Mahnung – in einer bewegenden Veranstaltung mit engagierten Gegenwartsautor*innen, organisiert vom Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte, von Literaturhaus, Friedensbüro, Katholische Aktion, erinnern.at und der Israelitischen Kultusgemeinde. Danach kam es zu intensiven Diskussionen über ein Mahnmal; heute gibt es gleich drei in der Stadt Salzburg: die Gedenktafel an der St. Michaels-Kirche (2011), das Mahnmal im Innenhof des Uniparks Nonntal (2012) und das Erinnerungsdenkmal „Buchskelett“ am Rand des Residenzplatzes (2018).

2013 jährte sich zum 75. Mal die „Salzburger Bücherverbrennung 1938“. Die Salzburger INITIATIVE FREIES WORT will seitdem Salzburg zu einem Ort machen, an dem kontinuierlich daran erinnert wird, dass Emanzipation, Fortschritt und Utopie sich nur in Freiheit entwickeln können. Zensur und alle Versuche, die Freiheit des Geistes, die Freiheit von Kunst, Kultur und Wissenschaft zu behindern, sollen aufgezeigt werden: „Wie kann man atmen ohne die Weltluft, die aus Büchern strömt?“ (Stefan Zweig)

Seit 2019 wird jährlich am 30. April eine besondere Veranstaltung organisiert – jeweils zu einem Thema. Nach „Zivilcourage“, „Haltung“, „Wahrheit“, „Widerstand“ und „Freiheit“ beschäftigt sich das Projekt 2025 mit „Hoffnung“.

Das Thema wird bei einer öffentlichen Veranstaltung in der Alten Residenz (Eintritt frei) aufbereitet und in einer moderierten Podiumsdiskussion kritisch hinterfragt.

Warum „Hoffnung“? Die zahlreichen Bücherverbrennungen im Deutschen Reich ab 1933 und die „Salzburger Bücherverbrennung 1938“ nach der Annexion Österreichs auf dem Salzburger Residenzplatz sind Ausdruck der symbolischen Vernichtung eines freien kulturellen Lebens und Geistes. Dies sollte, wie es die NS-Propaganda behauptete, eine angeblich moderne, jugendbewegte, den „Schutt“ eines alten „Systems“ hinter sich lassende Epoche einläuten. Dabei verstand es das NS-Regime angesichts schwerwiegender wirtschaftlicher und politischer Krisen, Hoffnungen und Sehnsüchte breiter Kreise auf ein besseres Leben auszubeuten – allerdings unter dem Vorzeichen eines biologisch „gereinigten“, deutsch-sakralisierten „Volkstums“. Es gilt, die falschen Versprechen zu thematisieren sowie an jene humanen Dimensionen von Hoffnung zu erinnern, die den Gesellschaften von heute – in Kriegs- und Krisenzeiten – positive Orientierung, Zuversicht und im Sinne des Prinzips Hoffnung eine konkrete Utopie geben können.

Podiumsgespräch im Rittersaal der Alten Residenz mit
Karl-Markus Gauß, Schriftsteller,
Regina Polak, Theologin und
Heinrich Schmidinger, Philosoph
Moderation: Stefanie Jaksch
Musik: Mona Akinola und Mario El Fakih Hernández

Anmeldung: office@salzburgmuseum.at

Nach der Veranstaltung gehen alle Interessierten wie immer über den Residenzplatz zum Buchskelett-Mahnmal, wo um ca. 20.45 Uhr die Schauspielerin Christiane Warnecke Texte von Stefan Zweig zum Thema HOFFNUNG lesen wird. Das extra programmierte Glockenspiel wird von den Musiker*innen abschließend aufgenommen.

Pressekonferenz: Freitag, 25. April 2025, 9.00 Uhr im MUS Café MUSEUM, Mozartplatz 1.

„INITIATIVE FREIES WORT“
Tomas Friedmann, Albert Lichtblau, Karl Müller in Kooperation mit dem SalzburgMuseum/Martin Hochleitner, Salzburger Landestheater und zahlreichen zivilgesellschaftlichen Partner*innen: Arbeiterkammer Salzburg, Akzente, Afro-Asiatisches Institut Salzburg, Caritasverband ED Salzburg, Diakonie Flüchtlingsdienst, ÖAD GmbH – erinnern.at, Friedensbüro Salzburg, Katholische Aktion, KZ-Verband/VdA Salzburg, Personenkomitee Stolpersteine, Plattform Menschenrechte, Robert-Jungk-Bibliothek, Salzburger Autorengruppe, Salzburger Literaturhaus, Stefan Zweig Zentrum, Waldorfbildungsverein, Zentrum für Jüdische Kulturgeschichte, Hanna Feingold, Goldegger Deserteursverein, UB Salzburg, Literaturarchiv Salzburg.

Reden

Karl Müller: REDE am 30. April 2025, 18.30 Uhr – Rittersaal der Residenz

„Jetzt wurde der [Scheiterhaufen/Stoß] entzündet, und rasch brannte sich eine mächtig lodernde Flamme empor, die Umgebung, Residenzbrunnen, Häuser und Maibaum nebenan erhellend. … Fort mit dem volksfremden ‚Geistesgut‘!" (Salzburger Volksblatt, 2.5.1938, S. 9f.) Der Feuerschein dürfte wohl auch in den Rittersaal der Alten Residenz geleuchtet haben. Das NS-Regime eignete sich auch diesen Saal, in dem Sie sich jetzt befinden, sehr geehrte Damen und Herren, für Ihre Zwecke an – das "Führerkorps der Partei, führende Männer aus Wehrmacht, Staat/Reich und Volkstumspflege“, auch die sog. Elite aus Wissenschaft, Literatur und Kunst des Reiches tummelte sich hier bis März 1945 und im Zuge des Projektes „Heimat und Front“ wurden Kinder von gefallenen Soldaten mit „Backwerk und Obst“ abgespeist.
Im März/April 1938 wurden in einer rasanten, vernunftbefreiten Aktion unter Anleitung der NS- Lehrerschaft etwa 1200 Buchexemplare von insgesamt 56 Autorinnen und Autoren zwecks Vernichtung eingesammelt: „Verbrannt, vernichtet sei alles, was an klerikaler Knechtung und jüdischer Verderbnis den Aufbruch einer wahrhaft deutschen Kultur behinderte“, so hieß es (Bericht im SVB, 2. Mai 1938). – vorab also Texte des politischen Katholizismus, Schriften österreich-vaterländischer Provenienz und Produkte des “Juden-Geschmeißes”, wie es zynisch hieß. Vorbild der Salzburger Provinz-Aktion waren die Abfackelungs-, Einstampfungs- und Schandpfahl-Aktionen des Jahres 1933 in über 90 Städten und Märkten des „Dritten Reichs“.
Die Salzburger Bücherverbrennung war der erste Teil von drei “Annexions”- Propagandaaktionen des Jahres 1938.
Die Aufführung des „Lamprechtshausner Weihespiels“ von Karl Springenschmid auf einer für 5000 Menschen errichteten Freilichtbühne in Lamprechtshausen im Juli 1938 war die zweite – zur Verherrlichung des NS-Putsches und Hochverrats vier Jahre zuvor und gewissermaßen als Ersatz für den “Jedermann”. Die im Herbst 1938 im Festspielhaus gezeigte Wanderausstellung „Entartete Kunst“ war das dritte Annexions-Event – 40.000 Besucher*innen wurden gezählt.
Die Bücherverbrennung sollte der spektakuläre Auftakt sein, Salzburg – in enger Zusammenarbeit mit dem SS-Ahnenerbe – zum „nationalsozialistischen Missionszentrum“, zum „weltanschaulichen Ausstrahlungszentrum“ des sog. 1000jährigen Reiches zu machen, wie es in einer Denkschrift vom März 1938 hieß: “nationalsozialistisches Rom“.
Fast ein halbes Jahrhundert später, erst im Jahre 1986, konnte ein größerer Kreis von Menschen durch eine vierteilige Sendereihe von Radio Salzburg auf der Basis damals neuer zeitgeschichtlicher Forschungen über diese Vorkommnisse erfahren. 1987 wares die Salzburger Autorengruppe (SAG), die erstmals in einer Veranstaltung auf dem Residenzplatz daran erinnerte. Die Rede, die damals Erich Fried (1921–1988) hielt, ist unvergessen.
Es dauerte weitere 20 Jahre, bevor 2007 erneut eine Gedenkveranstaltung das unerhörte Vorkommnis auf dem Residenzplatz des Jahres 1938 in das Gedächtnis rief. Es folgte 2008 eine beeindruckende Ausstellung der Universitätsbibliothek Salzburg in der Hofstallgasse. Die Universität war danach mit der Androhung einer Klage konfrontiert. Eine Wende zeichnete sich zu Beginn der 10er Jahre unseres Jahrhunderts ab – die großartige Skulptur von Zoltan Pap im Innenhof des UniParks in Nonntal, die Gedenktafel an der St. Michaelkirche und das beeindruckende “Buchskelett” von Fatemeh Naderi und Florian Ziller aus dem Jahre 2018 am Rande des Residenzplatzes zeugen davon. 2013 hatte eine große Anzahl von zivilgesellschaftlichen Organisationen und Schulen mit verschiedenen, äußerst anregenden Aktivitäten kooperiert, um die Erinnerung wach zu halten. Wir erinnern uns an die Reden von Marko Feingold, Felix Mitterer, Barbara Coudenhove-Kalergi und Heinrich Schmidinger. Seitdem versucht die “Initiative Freies Wort” alljährlich am 30. April das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass das sogenannte Vergangene kein Vergangenes ist: Robert Schindel hat dies so formuliert:” Achten wir womöglich darauf, dass jene Symbolakte uns nicht und nie den Blick verstellen für die aktuellen Barbareien, die unter unseren Augen geschehen. […]
Es liegt im Wesen jeglicher Orthodoxie, gleichgültig welcher Religionen, Ideologien, eine Welt der eigenen Dogmen zu errichten, in denen nur diese Platz haben.“

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Albert Lichtblau: REDE am 30. April 2025 im Rittersaal der Salzburger Residenz

Angst-Trost-Hoffnung.

„Die jungen Leute sollen erfahren, wie zum Beispiel ein verzerrter Populismus entstehen kann, ein Nationalismus, der sich hinter Gräben verschanzt und sich isoliert:
Man muss nur an die Wahlen denken, die 1932 und 1933 in Deutschland stattfanden, und an Adolf Hitler, den Fußsoldaten, der besessen war von der Niederlage im Ersten Weltkrieg und von der ‚Reinheit des Blutes‘. Er hatte den Deutschen eine großartige Zukunft versprochen. Daher ist es wichtig, dass die jungen Leute verstehen, wie der Populismus beginnt und wie er enden kann. Die Versprechungen, die sich auf Angst gründen, vor allem auf die Angst vor dem Anderen, gehören üblicherweise zu den Predigten der Populisten. Sie sind der Beginn der Diktatur und der Kriege. Denn für deine Mitmenschen bist du der [oder die] Andere.“
Dieses Zitat stammt aus der 2025 erschienenen Autobiografie von Papst Franziskus mit dem Titel „Hoffe“.
Die Bücherverbrennungen 1933/ 1938 waren ein Einschwören auf den „Führer“, auf den neuen Geist [=Ideologie-Elemente] durch Ausmerzen von Widerspruch/Widersprechendem …
Wir befinden uns derzeit wieder in einer Belastungsprobe für Hoffnung, einem Stresstest. Dies ist nicht neu. Hoffnung wird dann besonders wichtig, wenn die Kehrseite der Medaille, die Furcht, überhandnimmt.
Wir sollten keine Angst vor der Hoffnung haben: „Zu Tode gefürchtet ist auch gestorben“ (Johann Nestroy/Volksmund). Dann droht aber Gleichgültigkeit.
Es gibt zu Glück viele wertvolle historische Beispiele von Hoffnungen und viele Träume für bessere Zukunft in schwierigen Zeiten. Eines der bekanntesten Beispiele ist die Rede von Martin Luther King vom 28. August 1963: „I have a Dream“
“So even though we face the difficulties of today and tomorrow, I still have a dream. … I have a dream that my four little children will one day live in a nation where they will not be judged by the color of their skin but by the content of their character.”
Es gibt viele Wege, Trost in schwierigen Zeiten zu finden und Kraft durch Hoffnung zu erhalten: „Liebe“, Freundschaft, Vertrauen, Glaube können Berge versetzen, aber auch Literatur, Musik, Kultur und das Miteinander-Sprechen …
Deswegen sind wir und vermutlich viele von Ihnen hier.

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Karl Müller: REDE am Mahnmal auf dem Residenzplatz am 30. April 2025

“Buchskelett” (2018) von Fatemeh Naderi und Florian Ziller

Sehr geehrte Damen und Herren,
Sehr schön ist es, dass Sie mit uns nun den Weg zum Mahnmal gefunden haben – zum “Buchskelett” von Fatemeh Naderi und Florian Ziller1 aus dem Jahre 2018. Wie Sie vielleicht wissen, wurde heute am Nachmittag in einem Festakt von der Universität Salzburg das neue „Weltzentrum für Stefan Zweig“ gegründet und mit dem nunmehr seit 20 Jahren darauf wartenden Namen Stefan-Zweig-Haus geschmückt, eine Kooperation des Stefan-Zweig-Zentrums in der Edmundsburg und dem Salzburger Literaturarchiv.
Es liegt deswegen nahe, heute das Wort Stefan Zweigs zu hören – seine besonderen Gedanken und Reflexionen zum Thema HOFFNUNG. Christiane Warnecke wird in den nächsten 10-15 Minuten einige Textausschnitte aus Stefan Zweigs Werk seit dem Beginn der 1930er Jahre lesen – aus einem Vortrag Zweigs in Florenz aus dem Jahre 1932, aus seinem Erasmus-von-Rotterdam-Roman von 1934 und aus dem Fragment gebliebenen und zugleich einem der bewegendsten Vermächtnisse Zweigs, seinem Essay Montaigne (1941/42), geschrieben im brasilianischen Exil. Es wäre nicht Stefan Zweig, wenn er nicht – der Zeitgenosse einer erneut in den Abgrund stürzenden Welt – unablässig nach historischer humanistischer Orientierung gesucht hätte. Es gibt keinen Text seit der Mitte des Ersten Weltkrieges, der nicht dieses Signum in sich trüge.
Am Ende der Lesung von Christiane Warnecke wird erneut das von der Familie Schmidt gesetzte Glockenspiel erklingen – und Mona Akinola wird diese Melodie mit ihrer herrlichen Stimme aufnehmen und, begleitet von Mario El Fakih Hernandez, über den Platz tragen.

Am 30. April 2025 beim Denkmal an die Salzburger Bücherverbrennung vom 30.4.1938 zu sprechen
Ausschnitte aus Texten von Stefan Zweig

Rezitation: Christiane Warnecke

Montaigne [Fragment] 1941/42

Als Michel de Montaigne ins Leben tritt [1533-1592] , beginnt eine große Hoffnung zu erlöschen, eine gleiche Hoffnung, wie wir sie selbst zu Anfang unseres Jahrhunderts erlebt: die Hoffnung auf eine Humanisierung der Welt. Im Verlauf eines einzigen Lebensalters hatte die Renaissance der beglückten Menschheit mit ihren Künstlern, ihren Malern, ihren Dichtern, ihren Gelehrten eine neue, in gleicher Vollkommenheit nie erhoffte Schönheit geschenkt, und ein Jahrhundert – nein, Jahrhunderte schienen anzubrechen, wo die schöpferische Kraft das dunkle und chaotische Dasein Stufe um Stufe, Welle um Welle dem Göttlichen entgegentrug. Mit einem Male war die Welt weit, voll und reich geworden. Aus dem Altertum brachten die Gelehrten mit der lateinischen, der griechischen Sprache die Weisheit Platos und Aristoteles' wieder den Menschen zurück, der Humanismus unter Erasmus' Führung versprach eine einheitliche, eine kosmopolitische Kultur, die Reformation schien eine neue Freiheit des Glaubens neben der neuen Weite des Wissens zu begründen.

Der Raum und die Grenzen zwischen den Völkern zerbrachen, denn die eben entdeckte Druckerpresse gab jedem Wort, jeder Meinung, jedem Gedanken die Möglichkeit beschwingter Verbreitung; was einem Volke geschenkt war, schien allen gehörig, und so eine Einheit geschaffen durch den Geist über den blutigen Zwist der Könige, der Fürsten und der Waffen. Und abermaliges Wunder: zugleich mit der geistigen weitete sich die irdische, die räumliche Welt ins Ungeahnte. Aus dem bisher weglosen Ozean tauchten neue Küsten, neue Länder auf, ein riesiger Kontinent verbürgte Heimstatt für Generationen und Generationen. Rascher pulsierte der Blutkreislauf des Handels, Reichtum durchströmte die alte europäische Erde und schuf Luxus und der Luxus wiederum kühne Bauten, Bilder und Statuen, eine verschönte, eine vergeistigte Welt. Immer aber, wenn der Raum sich erweitert, spannt sich die Seele. Wie in unserer eigenen Jahrhundertwende, da abermals der Raum sich großartig dehnte dank der Eroberung des Äthers durch das Flugzeug und das unsichtbar die Länder überschwebende Wort, da Physik und Chemie, Technik und Wissenschaft Geheimnis auf Geheimnis der Natur entrangen und ihre Kräfte dienstbar machten dermenschlichen Kraft, beseelte unsagbare Hoffnung die schon so oft enttäuschte Menschheit, und aus tausend Seelen klang Antwort dem Jubelruf Ulrich von Huttens zurück: Es ist eine Lust zu leben.

Aber immer, wenn die Welle zu steil und zu rasch ansteigt, fällt sie umso kataraktischer zurück. Und so wie in unserer Zeit gerade die neuen Errungenschaften, die Wunder der Technik, die Vervollkommnung der Organisation in die fürchterlichsten Faktoren der Zerstörung, so verwandeln sich die Elemente der Renaissance und des Humanismus, die heilsam erschienen, in mörderisches Gift. Die Reformation, die in Europa einen neuen Geist der Christlichkeit zu geben träumte, zeitigt die beispiellose Barbarei der Religionskriege, die Druckerpresse verbreitet statt Bildung den Furor Theologicus, statt des Humanismus triumphiert die Intoleranz. In ganz Europa zerfleischt sich jedes Land in mörderischem Bürgerkriege, indes in der neuen Welt sich die Bestialität der Conquistadoren mit einer unüberbietbaren Grausamkeit austobt.
Das Zeitalter eines Raffael und Michelangelo, eines Leonardo da Vinci, Dürer und Erasmus fallt zurück in die Untaten eines Attila, eines Dschingis Chan […]. Diesen grauenhaften Rückfall aus dem Humanismus in die Bestialität, einen dieser sporadischen Wahnsinnsausbrüche der Menschheit, wie wir ihn heute abermals miterleben, trotz unbeirrbarer geistiger Wachheit und mitfühlendster seelischer Erschütterung völlig ohnmächtig mitansehen zu müssen, bedeutet die eigentliche Tragödie im Leben Montaignes. Er hat den Frieden, die Vernunft, die Konzilianz, die Toleranz, alle diese hohen geistigen Kräfte, denen seine Seele verschworen war, nicht einen Augenblick seines Lebens in seinem Land, in seiner Welt wirksam gesehen.

DER EUROPÄISCHE GEDANKE IN SEINER HISTORISCHEN ENTWICKLUNG
Vortrag. Florenz 1932

Und gerade dieser unserer Generation, die an die Einheit Europas glaubte wie an ein Evangelium, war es verhängt, die Vernichtung aller Hoffnungen, den größten Krieg zwischen allen Nationen Europas zu erleben; unser geistiges Rom ist nochmals zerstört worden, unser Turm zu Babel noch einmal von den Werkleuten verlassen. [vgl. Essay Turm von Babel mitten im Ersten Welt-Krieg publiziert] … unsere Generation, die seit einem Vierteljahrhundert im Politischen immer nur Geschehnisse gesehen hat, die gegen die Vernunft gerichtet waren, die noch täglich erlebt, wie die notwendigsten Entscheidungen immer verzögert, die wichtigsten Entschlüsse statt in der zwölften Stunde immer erst in der dreizehnten gefaßt werden, unser geprüftes, enttäuschtes Geschlecht, das den Irrwitz des Kriegs und den Aberwitz des Nachkriegs gesehen, es hat nicht mehr die kindergläubige Hoffnungskraft auf gesunde, rasche und klare Entscheidungen. Es hat auch die Stärke der Gegenkräfte erkannt, die Macht der kleinen, kurzdenkenden Interessen, die den großen notwendigen Ideen entgegenwirken, die Gewalt des Egoismus gegen den verbrüdernden Geist.

Aus: NIEDERSCHRIFTEN IN BRASILIEN (1941/I942) - Petropolis

Niemand aber haben wir dankbarer zu sein als jenen, die in einer unmenschlichen Zeit wie der unseren das Menschliche in uns bestärken, die uns mahnen, das Einzige und Unverlierbare, das wir besitzen, unser innerstes Ich, nicht preiszugeben. […] Wie befreie ich mich von der Furcht. Wie überwinde ich meine Enttäuschungen. Wie bewahre ich mir in einer Zeit der Bestialität die Humanität. Die Leute reden so leicht von Bombardements, wenn ich aber lese, daß die Häuser zusammenstürzen, stürze ich selbst mit den Häusern zusammen. -- Auch wir mußten aus unseren Hoffnungen, Erfahrungen, Erwartungen und Begeisterungen mit der Peitsche zurückgejagt werden bis auf jenen Punkt, wo man schließlich nurmehr sein nacktes Ich, seine einmalige und unwiederbringliche Existenz verteidigt.

Aus: Stefan Zweig: Triumph und Tragik des Erasmus von Rotterdam (publ. 1934) [aus dem Kap. Das Vermächtnis des Erasmus] [Erasmus von Rotterdam 1466–1536]

… in der geistigen Welt haben alle Gegensätze Raum: auch was im Wirklichen niemals sieghaft in Erscheinung tritt, bleibt dort wirksam als dynamische Kraft, und gerade die unerfüllten Ideale erweisen sich als die unüberwindlichsten. Eine Idee, die nicht in Erscheinung tritt, ist darum weder besiegt noch als falsch erwiesen […] Darum bedeutet es im Geistigen keine Entwertung, daß das humanistische, das erasmische Ideal, dieser erste sichtbare Versuch einer europäischen Verständigung, nie zur Herrschaft und kaum jemals zu einer politischen Wirkung gelangte: es liegt nicht im Wesen des Willens zur Überparteilichkeit, jemals Partei und Majorität zu werden, und kaum ist zu erhoffen, jene heiligste und höchste Lebensform goethischer Gelassenheit könne jemals Form und Inhalt der Massenseele werden. Jedes humanistische, auf Weite des Weltblicks und Helligkeit des Herzens gestufte Ideal ist bestimmt, ein geistes-aristokratisches zu bleiben, wenigen gegeben und von diesen wie ein Erbgut von Geist zu Geist, von Geschlecht zu Geschlecht verwaltet, aber niemals wird andererseits dieser Glaube an ein künftiges Gemeinschaftsschicksal unserer Menschheit irgendeiner Zeit, und sei sie auch die verwirrteste, völlig abhanden kommen. Was Erasmus, dieser enttäuschte und doch nicht zu enttäuschende alte Mann, mitten im Wirrsal der Kriege und der europäischen Verzwistung als Vermächtnis hinterließ, war nichts als der erneute uralte Wunschtraum aller Religionen und Mythen von einer kommenden und unaufhaltsamen Vermenschlichung der Menschheit undvon einem Triumph der klaren und gerechten Vernunft über die eigensüchtigen und vergänglichen Leidenschaften: mit unsicherer und oft verzagter Hand zum erstenmal pragmatisch hingezeichnet, hat dieses Ideal mit immer wieder neuer Hoffnung den Blick von zehn und zwanzig Generationen […] belebt. […]

Es wird der Ruhm des im irdischen Raum besiegten Erasmus bleiben, dem Humanitätsgedanken literarisch den Weg in die Welt gewiesen zu haben, diesem einfachsten und zugleich ewigen Gedanken, daß es höchste Aufgabe der Menschheit sei, immer humaner, immer geistiger, immer verstehender zu werden. Nach ihm spricht sein Schüler Montaigne, dem die »Unmenschlichkeit das schlimmste aller Laster« bedeutet, […] die Botschaft der Einsicht und Nachsicht weiter. Spinoza fordert statt der blinden Leidenschaften den »amor intellectualis«, Diderot, Voltaire und Lessing, Skeptiker und Idealisten zugleich, sie kämpfen gegen jene Eingeschränktheit der Gesinnung zugunsten einer allverstehenden Toleranz. In Schiller ersteht die Botschaft des Weltbürgertums dichterisch beschwingt, in Kant die Forderung des ewigen Friedens, immer wieder bis zu Tolstoi, Gandhi und Rolland verlangt der Geist der Verständigung mit logischer Kraft sein sittliches Recht neben dem Faustrecht der Gewalt.

Immer wieder bricht der Glaube an eine mögliche Befriedung der Menschheit gerade in den Augenblicken eifervollster Verzwistung durch, denn die Menschheit wird nie und niemals leben und schaffen können ohne diesen tröstlichen Wahn eines Aufstiegs ins Sittliche, ohne diesen Traum einer letzten und endlichen Verständigung. Und mögen die klugen und kalten Rechner immer wieder von neuem die Aussichtslosigkeit des Erasmischen erweisen und mag die Wirklichkeit ihnen abermals und abermals recht zu geben scheinen: immer werden jene vonnöten sein, die auf das Bindende zwischen den Völkern jenseits des Trennenden hindeuten und im Herzen der Menschheit den Gedanken eines kommenden Zeitalters höherer Humanität gläubig erneuern. In diesem Vermächtnis wirkt schöpferisch eine große Verheißung. Denn nur was den Geist über den eigenen Lebensraum ins Allmenschliche weist, schenkt dem einzelnen Kraft über seine Kraft. Nur an den überpersönlichen und kaum erfüllbaren Forderungen fühlen Menschen und Völker ihr wahres und heiliges Maß.

1 Fatemeh Naderi MA, MA, Geboren 1981 (Esfahan/Iran), studierte Grafikdesign, Visuelle Kommunikation und Fotografie in Teheran, an der Universität Potsdam und an der Kunstuniversität Linz. Sie wurde bereits mehrfach ausgezeichnet, u.a. 2015 mit dem Kunststipendium der Stadt Linz. Seit 2004 werden ihre Arbeiten in Galerien und Museen gezeigt, zuletzt u.a. in der Chamber Gallery (New York), im Lentos (Linz), im Semperdepot (Wien) und bei der Internationalen Biennale für Grafikdesign in Moskau. Fatemeh Naderi lebt und arbeitet in Linz.

Florian Ziller DI, BSc, Geboren 1981 in Salzburg, von Klein auf Gestalter erlernte er das Handwerk für Tischlerei an der HTBL in Hallein. Nach Praxisjahren studierte er Design am Kolleg in St. Pölten und Industrial Design an der Kunstuniversität Linz. Beachtung finden sowohl die technisch-anwendungsorientierten Designentwicklungen von Florian Ziller, über die seit 2007 regelmäßig in Publikationen berichtet wird, als auch seine künstlerischen Objekte, die mehrfach in Wettbewerben und mit Preisen ausgezeichnet wurden.

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